Vampirzorn
wo ich dich finde?«
»Eins meiner Mädchen wird die Augen aufhalten und dir folgen. Du kennst sie, aber du darfst sie auf gar keinen Fall ansprechen. Und geh’ bloß nicht zu weit weg und außerdem so, dass sie auch mitkommt. Soll heißen: Häng’ sie nicht ab! Denn wenn es darum geht, jemanden abzuhängen, bist du wirklich verdammt gut, Mister Harry Keogh! Sollte sie dich verlieren, dürften wir nämlich große Schwierigkeiten haben, dich wiederzufinden. Aber sollte es doch so weit kommen, kannst du es als letzten Ausweg immer noch in meinem Lokal probieren. Ich werde dann jemanden abstellen, der die Augen nach dir offenhält.«
Als er nichts darauf erwiderte, fragte sie: »Und?«
»Das war es dann also«, meinte er schließlich mit einem unmissverständlichen Zittern in der Stimme, das verriet, wie aufgewühlt er innerlich war. Er war zutiefst verletzt, getroffen. Am liebsten hätte sie laut losgeheult. Eigentlich dürfte er gar nicht so klingen, nicht solange er unter ihrem Einfluss stand; noch nicht einmal, wenn er sich »ganz normal« mit ihr unterhielt. Aber gerade dafür liebte sie ihn. Er war anders als alle anderen, einem Mann wie ihm war B. J. noch nie begegnet. Doch was sie auch tun mochte, ihr war klar, dass sie jetzt nicht schwach werden durfte.
»Ja, das war es! So lange, bis wir wieder zusammen sind. Und, Harry, ich möchte, dass du immer daran denkst: Wir werden wieder zusammen sein! Und was den Rest angeht, dafür gelten die üblichen Regeln.«
»Die üblichen Regeln?«
»Vergiss die Drakuls, die Ferenczys und die Vampire, mit denen wir es zu tun haben. Solange du nicht selber bedroht wirst, vergiss sie einfach! Solltest du aber in Gefahr geraten, wird dir alles wieder einfallen, was ich dir über sie erzählt habe; dann kannst du gegen sie vorgehen. Es ist nur zu deinem Besten. Ich will einfach nicht, dass du auf eigene Faust etwas gegen sie unternimmst und dabei umkommst. Weißt du, ich glaube, das würde ich nicht ertragen, Harry ... mein Geliebter!«
Sie schwiegen. Dann sagte er schließlich: »Es wird mir ... wieder einfallen?« Damit war dieses Thema erledigt ...
Er erinnerte sich tatsächlich an alles – wenn auch nur innerhalb der »üblichen Regeln« – und zerbrach sich über den Rest den Kopf. So wusste er zum Beispiel, dass B. J. bald aus ihrem Lokal in der Stadt ausziehen würde, aber nicht weshalb, und dass sie ihm geraten hatte, ebenfalls umzuziehen. (Aber dies war eher ein Ratschlag gewesen, kein Befehl.) Und er erinnerte sich undeutlich daran, dass irgendwelche Feinde zu einem Schlag gegen sie ausholten, er aber nichts dagegen unternehmen durfte, es sei denn, B. J. befahl es ihm oder er wurde direkt bedroht. Außerdem wusste er, dass sie ihn liebte und dass er bald wieder mit ihr zusammen sein würde und dass sie – entgegen allem, was scheinbar dagegen sprach – unschuldig war.
Sie ist unschuldig! ... unschuldig! ... unschuldig!, hallte es beinahe schmerzhaft im Geist des Necroscopen nach. Schmerzhaft, weil sich so viel Merkwürdiges in seinem Kopf befand, das seinen Weg an die Oberfläche suchte, während er das, was ihn, Harry Keogh, von Natur aus (von Natur aus?) eigentlich ausmachte, nicht länger einzusetzen wagte.
All dies führte ihm letztlich nur vor Augen, dass sein Leben ein Scherbenhaufen war, der von Tag zu Tag größer wurde, womöglich bis er darin ersticken würde, und dass irgendjemand die Schuld daran trug. Etwa ... Bonnie Jean? Nein, schließlich war sie unschuldig. Aber wer dann?
Wenn er doch nur einen Überblick bekäme, einen ganz flüchtigen nur, dann würde er schon von selbst dahinterkommen. Dann könnte er das ganze, verdammte Rätsel lösen. Doch alles, was er hatte, waren ein paar Puzzleteile, die nicht zueinander passten und zudem auch noch in drei Dimensionen funktionierten, von denen Harry nur zwei wahrnahm (wahrnehmen dufte) und die ihm überdies auch nur einzeln zugänglich waren ...
Das Gespräch mit B. J. hatte morgens, am Tag zuvor, stattgefunden. Am Nachmittag holte der Necroscope sein Fahrrad aus dem Schuppen und trat in die Pedale wie ein Verrückter, acht Kilometer hin und acht zurück. Sein Fitnessprogramm (sagte er sich), und, bei Gott, er war in Höchstform! Körperlich jedenfalls. Hinterher ließ er das Rad vorn im Hof stehen, ging durchs Haus in den zur Rückseite hin gelegenen Garten – der mittlerweile keine völlige Wildnis mehr war, sondern in der Tat schon eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Garten hatte – und am
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