Vampirzorn
bloß nicht seinen Namen nennen«, fuhr sie dann fort. »Möglicherweise ist er zurückgekommen, um noch ein paar Sachen zu holen. Ach, ich weiß nicht – aber du kannst es herausfinden, Zahanine, er kennt dich. Geh zu dem Haus und sag’ ihm, wo ich bin. Nichts Schriftliches, nur eine mündliche Nachricht. Anschließend kann er zusehen, dass er allein hierherfindet, oder gleich mit dir mitkommen, was ihm lieber ist. Aber falls er doch länger zu Hause bleiben möchte, sag ihm, er soll auf der Hut sein. Und er soll den Telefonhörer auflegen, damit ich ihn erreichen kann. Du kannst ihm ruhig meine Nummer geben – aber er soll sie sich merken. Schreib’ sie auf keinen Fall auf! Kapiert?«
»Ja«, antwortete Zahanine atemlos. »ich soll zu ihm gehen, ihm sagen, wo du bist, und ihm deine Nummer geben – aber nicht schriftlich. Und falls er zu Hause bleiben will, soll ich ihm sagen, dass er aufpassen muss. Falls nicht, kann er gleich mit mir kommen oder versuchen, dich auf eigene Faust zu erreichen. Das war’s!«
»Gut! Und jetzt los ...«
Zahanine brauchte nur zwei, drei Minuten, um zu Harrys Haus zurückzukehren. Auf dem ausgefahrenen Feldweg dahinter parkte ein Wagen. Zahanine stellte ihren Wagen etwa hundert Meter weiter ab und näherte sich dem Anwesen, so leise sie konnte, zu Fuß. Dies einzig und allein, um Harry nicht aufzuschrecken. Dann hatte sie auch schon den Vorgarten durchquert und pochte an die Tür. Aus dem Innern erscholl keine Antwort, nur völliges Schweigen. Dafür ging im Obergeschoss das Licht aus!
Zahanine wartete ungefähr eine Minute und klopfte dann erneut. »Harry«, rief sie leise, »ich bin’s, Zahanine, eins von B. J.’s Mädchen ...«
Und als die Tür viel zu schnell geöffnet wurde, sagte eine Stimme hinter ihr in einem sonderbaren Akzent: »Nun, wenn das mal nicht wahr ist!« Doch es war keineswegs Harry.
Im Dunkeln sah Zahanine, wie alle von B. J.’s Mondkindern, ebenso gut wie ein Tier. Der Mann, der vor ihr in der Tür stand, war mittelgroß, hatte leicht schräg stehende Augen und ... gelbe Haut. Ein Asiat! Und der andere hinter ihr dürfte nicht wesentlich anders aussehen. Drakuls!
Zahanine war äußerst gelenkig. Indem sie dem Mann vor ihr den Fuß in den Unterleib rammte, schlug sie mit der Handkante nach dem Kerl in ihrem Rücken. Ihr Fuß fand zwar sein Ziel, doch der Mann hinter ihr beugte sich zurück, sodass ihr Schlag ins Leere ging, und feuerte aus anderthalb Metern Entfernung. Seine Waffe hatte einen Schalldämpfer, und es gab einen Laut wie das Fauchen einer großen Katze.
Das Projektil drang tief in ihre linke Brust und blieb dicht neben dem Herzen stecken. Überdies war es auch noch aus Silber. Der heimtückische Schütze hatte nur langsam heilende Wunden an den Fingern. Sie waren vollkommen aufgesprungen, weil er das Magazin seiner Waffe mit Silberkugeln geladen hatte.
Zahanine wurde hochgehoben und auf die zusammengesunkene, stöhnende Gestalt des im Türrahmen kauernden Mannes geschleudert, der sich seine schmerzenden Hoden hielt. Das plötzliche Gewicht riss ihn um, und in dem engen Flur schlugen beide der Länge nach auf den Boden. Der Kerl vor der Tür wandte sich um, ließ den Blick verstohlen durch die Finsternis schweifen und sog durch seine platte Nase die Luft ein. Dann richtete er seine Waffe wieder nach vorn, trat ins Haus und legte, indem er die Tür hinter sich ins Schloss zog, den Sicherheitsriegel vor.
Zahanine kam, die Hände gegen die Brust gepresst, wieder auf die Beine. In einem wilden, wolfshaften Zähnefletschen entblößte sie ihr weißes, scharfes Gebiss, wandte sich um und trat abermals nach dem verkrümmt auf dem Boden Liegenden, als sie einen Schritt über ihn hinweg machte. Dann floh sie, stürzte von Wand zu Wand stolpernd den Flur entlang und machte einen Satz in Harrys Arbeitszimmer. Doch der Mann mit der Waffe war direkt hinter ihr, und als sie auf die Verandatür zuhechtete, drückte er ab.
Ein weißglühender Schmerz durchfuhr Zahanine, so, als habe ihr jemand einen Schürhaken in die Brust gestoßen. Sie wusste, dass sie sterben würde, noch ehe der nächste Schuss fiel. Aber wenigstens hätte die Qual dann ein Ende.
Ihr Rückgrat wurde zerschmettert. Die kräftige Faust von eben hob sie abermals hoch und stieß sie in einem Regen aus splitterndem Glas und Holzstreben durch die geschlossene Verandatür. Mit dem Gesicht nach unten lag sie blutüberströmt im Garten. Der Killer steckte seine Waffe weg, packte die
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