Vampirzorn
hatte nicht die geringste Ahnung, was oder ob überhaupt etwas in seinem Kopf vorging.
Doch nun verblüffte er sie, indem er sagte: »Ferenczys.« (Oder plapperte er es ihr einfach nach?) »Le Manse Madonie«, fuhr er fort. »Die Madonie ist ein Gebirge auf Sizilien. Hast du den Alten John am Telefon? Gibt es Schwierigkeiten?« Er starrte weiter mit leerem Blick aus dem Fenster. »Margaret Macdowell kommt gerade. Ein Taxi hat sie eben abgesetzt.«
Margaret Macdowell – mittlerweile wollte die Polizei nichts mehr von ihr, und das war auch ganz gut so, schließlich war sie das Opfer. Der Vergewaltiger und Mörder hatte es auf sie abgesehen gehabt, und sie hatte der Polizei »alles, was sie wusste« bereits vor Wochen erzählt. War es wirklich erst ein paar Wochen her? Bonnie Jean kam es wie Jahre vor. Seit dem Anschlag hatte B. J. sich Zeit gelassen und Margaret für den Fall, dass die Polizei sie noch einmal vernehmen wollte, aus so gut wie allem herausgehalten. Doch damit war nun Schluss. Jetzt brauchte B. J. jede Hilfe, die sie kriegen konnte.
Der Alte John war noch immer am Telefon. »Bonnie Jean?«
»Bist du noch da, John? Ich mache es kurz: Du solltest aus deiner Hütte verschwinden, und zwar noch heute Abend! Such’ dir irgendwo eine Unterkunft, aber weit weg von Inverdruie und Aviemore. Und dann ruf’ mich an, damit ich weiß, wo du zu finden bist. Hast du verstanden? Du bist der Einzige, auf den ich mich voll und ganz verlassen kann. Ich kann nicht zulassen, dass dir etwas passiert.«
»Ich soll weg von hier?« Er schien amüsiert. »Aber das ist doch mein Zuhause. Wohin soll ich denn gehen?«
»Irgendwohin, wo du sicher bist!«, fuhr sie ihn an, und diesmal war es ihr ernst. »Also, mach’ schon! Und jetzt sag’ mir, dass du es begriffen hast.«
Einen Moment herrschte Schweigen. »Aye«, sagte er dann, »ich habe verstanden. Aber Radu ...«
»Wenn es so weit ist, wirst du seinen Ruf schon hören. Bis dahin ... viel Glück, John.«
Sie spürte sein Nicken. »Dir auch, Bonnie Jean. Pass auf dich auf, Kleines!« Mit einem Klicken legte er den Hörer auf.
»B. J.«, sagte Harry. In seiner Stimme schwang etwas mehr Leben mit als vorhin. Sie blickte zu ihm. Er starrte weiterhin aus dem Fenster, doch nun hatte er die Stirn in Falten gelegt und blinzelte heftig. »Harry?« Sie machte Anstalten, zu ihm zu gehen. »Der Wagen da draußen«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Jetzt hat er die Scheinwerfer ausgeschaltet, aber er steht immer noch da, dort drüben, wo die Hecke aufhört, diesseits des Zufahrtsweges. Er kam gleich nach Margarets Taxi angefahren, und jetzt ... steht er bloß da.«
Sie trat neben ihn – spähte angestrengt durch die Gardine und streckte die Hand aus, um das Licht auszuschalten. Vom Flur her waren gedämpfte Stimmen zu hören, als die Mädchen Margaret begrüßten. Doch B. J. achtete nicht darauf; ihre Aufmerksamkeit galt etwas anderem. »Ein Wagen?«, flüsterte sie und spähte noch angestrengter nach draußen.
»Dort drüben, wo die Hecke aufhört«, wiederholte der Necroscope, als sei er nicht ganz bei sich, in jenem Tonfall, den B. J. so sehr hasste, an den sie sich aber allmählich gewöhnte. Harry konnte ihre Anspannung beinahe spüren und fragte sich, wenn auch abwesend: Die Leute in diesem Wagen – ob das wohl unsere Feinde sind? Doch seine Gedanken waren nicht abgeschirmt ... und irgendwo da draußen befand sich ein gewisser Jemand, der der Großen Mehrheit angehörte und nur darauf wartete, sie zu empfangen.
Was nun B. J. anging: Sie war zwar keine Telepathin, noch nicht, stand aber kurz davor, zu einer echten ... Wamphyri ... aufzusteigen! Fast ohne zu wissen, was sie da eigentlich tat, ließ sie ihre Gedanken schweifen, fand den Wagen, und mit einem Mal vernahm der Necroscope ein tiefes, grollendes Knurren, das weit unten aus ihrer Kehle aufstieg. Sie war so außer sich, dass sie ins Wanken geriet und seinen Arm packen musste, um sich festzuhalten.
»Drakuls!«, entfuhr es ihr. Es klang wie ein giftiges Seufzen. Mit einem bösartigen Zischen und wildem Zähneblecken begannen ihre Augen im Dunkeln zu leuchten. »Drakuls! Aye, als ob ich es mir gewünscht hätte, und jetzt ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen. Für Zahanine!«
Ohne ein weiteres Wort an Harry zu verlieren, strebte B. J. der Tür zu. Noch bevor sie diese erreichte, rief sie mit tiefer, kehliger, gefährlicher Stimme einem der Mädchen zu: »Die Schlüssel, Sandra! Ich brauche deine
Weitere Kostenlose Bücher