Vampirzorn
»Was für eine Gelegenheit!«, flüsterte er auf Italienisch. »Hey, Luigi, hast du gesehen, wie sie dalagen? Ich hätte sie umlegen können, ehe sie überhaupt kapiert hätten, dass ich auf sie schieße. Und weißt du was? Wahrscheinlich werde ich mich ewig dafür hassen, dass ich es nicht getan habe«, sagte er zu dem Piloten, Luigi Manoza, »und sei es auch nur um Vincents willen.« Potenza war hochgewachsen, hager und heimtückisch, aber paradoxerweise wirkte er in seinem Gehabe und seinen Bewegungen ausgesprochen feminin.
»Ich habe sie gesehen«, erwiderte Manoza. »Aber du weißt genauso gut wie ich, was Francesco uns befohlen hat für den Fall, dass wir jemanden sichten. Wenn es sich nicht gerade um die Frau handelt, sollen wir sie in Ruhe lassen. Wir sollen sie einfach ziehen lassen. Natürlich ist es wichtig, dass wir sie sahen, weitaus wichtiger aber ist das Ziel, zu dem sie wollen. Francesco weiß so ungefähr, wo der Hunde-Lord sich aufhält. Du hast sie also gesehen – schön und gut ... aber ich habe gesehen, welche Richtung sie eingeschlagen hatten, ehe sie in Deckung gingen. Und allem Anschein nach hat Francesco recht. Sie wollten in genau jene Gegend, sechs, acht Kilometer nordöstlich von hier. Dort nahm er bei unserem ersten Flug Radus Geruch wahr.«
»Wenn wir sowieso schon wissen, wo sich der Bau dieses Hundesohnes befindet«, flüsterte Potenza, »weshalb bringen wir seine Leute dann nicht einfach um? Ich meine, warum warten? Vincent ist tot – ich meine, wirklich tot! Wenn es nach mir ginge, würde ich die Dreckskerle auf der Stelle umlegen. Wir könnten sie abschießen wie die Fliegen.«
»Du machst dir viel zu viele Gedanken wegen Vincent Ragusa«, entgegnete Manoza. »Ich glaube nicht, dass er Francesco noch irgendwelches Kopfzerbrechen bereitet! Okay, Vincent war dein Boss – dein direkter Vorgesetzter –, aber er konnte einem auch fürchterlich auf den Wecker gehen. Er hat seine Anweisungen nicht befolgt und auf eigene Faust gehandelt. Darum ist er jetzt tot. Und die Moral von der Geschichte: Geh’ dem Francezci bloß nicht auf die Nerven. Sonst könnte er dich zerquetschen wie eine Fliege, kapiert?«
»Huh!«, machte Potenza, während Manoza tiefer ging, einen Schwenk vollführte und den Helikopter nach Norden lenkte. »Und was jetzt?«
»Jetzt fliegen wir dahin, wo diese Kerle wahrscheinlich hinwollen«, grunzte der stämmige Manoza. »Ich halte die Maschine so tief wie möglich, und du hältst die Augen auf, ob du irgendetwas siehst, was verdächtig ist oder uns einen Hinweis geben könnte, etwas, was nach einem Höhleneingang aussieht. Du weißt doch, Wölfe verkriechen sich gerne in Höhlen. Und du kannst auch zusehen, ob du einen passablen, ebenen Landeplatz ausmachen kannst.«
»Du willst da runter?«
»Nein«, seufzte Manoza, den Kopf in gespielter Verzweiflung schüttelnd, »wir gehen nicht runter! Jedenfalls noch nicht. Wenn, dann landen wir mit der ganzen Truppe. Ich will bloß wissen, wo ich dann aufsetzen kann.«
»Huh!«, machte Potenza erneut. »Weshalb so ein Aufwand? Wegen dieser Leute? Ich meine, es sind doch bloß Menschen, noch nicht einmal Knechte!«
»Gewissermaßen schon«, entgegnete Manoza. »Francesco nennt sie ›Mondkinder‹! Sie sind Radu treu ergeben und haben eine Spur Wolfsblut in sich. Und es sind eben nicht ›bloß‹ Menschen. Die Frau ganz bestimmt nicht. Die kannst du nicht einfach so rumschubsen, als würdest du in Palermo einen draufmachen. Die schubsen zurück, und zwar heftig! Vincent jedenfalls haben sie umgebracht.«
Was sollte er darauf erwidern? Also sagte Potenza nichts.
Manoza umflog das höher gelegene Gelände und folgte, den Berg zwischen seiner Maschine und den Leuten des Hunde-Lords lassend, in der Gegend, in der Francesco etwas ... gespürt hatte, dem Verlauf einer Schlucht. »Okay«, wies er Potenza an, »halte die Augen offen. Wir sind da – oder zumindest dicht dran.«
Während Manoza den Helikopter zur Seite neigte, um über der Schlucht zu kreisen, an deren Grund sich ein schäumender Wasserlauf entlangzog, spähte Potenza hinab. »Spalten«, flüsterte er auf die ihm eigene Art. »Und Senken. Oben auf der Kuppe gibt es Mulden, in denen das Wasser steht, und dann wieder Löcher, die aussehen, als seien sie bodenlos. Unten in der Schlucht ist die Bergflanke löchrig wie ein Schweizer Käse, so voller Höhlen, dass man glauben könnte, das Ganze werde bald einstürzen.«
»Voller Höhlen?« Manoza grinste
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