Vampirzorn
Plattform, umging das übergeschwappte Harz und setzte seinen Weg, fest entschlossen, die Sache zu Ende zu bringen, fort bis hinauf an den Rand des gewaltigen Sarkophages ...
Radu, der Hunde-Lord, war am Ende. So viel war ihm klar, und noch bevor er aus dem Harz auferstand, hatte er es gewusst. Aber erst nach seiner Auferstehung hatte er sich damit abgefunden – dass er in seinem gegenwärtigen Zustand erledigt war. In seinem gegenwärtigen Zustand, aye, und in seiner jetzigen Gestalt. Ebendeshalb hatte er den Alten John ausgesandt, um den Geheimnisvollen – seinen Mann-mit-den-zwei-Gesichtern – zu ihm in seine Stätte zu bringen. Denn dieser Mann namens Harry Keogh war sein einziger Ausweg aus einer Klemme, in der er seit sechs Jahrhunderten steckte und aus der er nicht zu entkommen vermochte.
Man durfte gar nicht darüber nachdenken. Einer der größten Räuber aller Zeiten, ein Lord der Wamphyri von der Alten Sternseite – seit Urzeiten ein Werwolf – zur Strecke gebracht durch den Biss eines Flohs, den eine Ratte auf ihrem Rücken aus Asien hierhergetragen hatte! Durch den Schwarzen Tod, der seinen Vampiregel dazu gezwungen hatte, gegen das Gift in seinem Organismus, der sonst mit allem fertig wurde, anzukämpfen.
Es war ihm von dem Augenblick an klar gewesen, als er aus dem Harz gekrochen und mit langen Sätzen zu dem Wasserfall unweit des gewaltigen Bottichs, in dem sich seine Kampfkreatur befand, geeilt war, um sich zu waschen. Oh, er vermochte immer noch zu rennen – insbesondere nachdem er sich am ach-so-köstlichen Blut eines kräftigen Mannes und am Herzen und dem Vampiregel eines Drakuls genährt hatte –, doch selbst dabei spürte er noch, wie das Gift durch seine Adern strömte, und er hatte geahnt, dass es mehr war als bloß der Rost der Jahrhunderte, der seine Knochen zerfraß.
Und am Wasserfall ... hatte er den Beweis dafür erhalten. Die schwarzen Beulen in seinen Leisten und Achselhöhlen, die Beschaffenheit seines Fleisches, das nicht mehr reagierte, wenn er sich verwandeln wollte, sondern in seiner Wolfsgestalt festzustecken schien. Er spürte, wie das innere Feuer namens Begierde – die Gier nach Leben, einem Leben, das ewig währen konnte – nur noch niedrig in ihm brannte und damit ganz der Kraft entsprach, die ihn durchströmte.
Über Kraft verfügte er nicht. Oh, es reichte immer noch aus, um in den Geist eines Mondkindes einzudringen und dieses in den Selbstmord zu locken, gewiss, und danach, gestärkt durch das Blut, einem lächerlichen Drakul-Leutnant den Garaus zu machen und einem zitternden Knecht der Ferenczys den Arm auszureißen. Aber wie viel Kraft war dazu wohl nötig? Keine, jedenfalls nicht für einen Wamphyri! Nicht für einen Vampirlord in der Blüte seiner Jugend!
Doch wo war seine Jugend jetzt? Sie lag weit hinter ihm, in einer anderen Welt, einer anderen Zeit. Und seine Kraft? Von einem Floh aufgezehrt! Und was war mit seiner Gier nach Leben? Wie sollte man noch etwas begehren, wenn man riesige schwarze Geschwüre in den Leisten hatte und Gift pisste und ganz genau wusste, dass einem die Knochen unter der ledrigen Haut zerbröselten?
Und doch schien es selbst jetzt, in seinem derzeitigen Zustand, niederträchtig, all dies einem armen Floh anzulasten. Denn die Flöhe der Schwarzen Ratte mochten zwar die Pest übertragen, aber es war ein gänzlich anderer »Biss« gewesen, der Radus Organismus damit infiziert hatte. Und bislang gab es anscheinend keine Möglichkeit, die Seuche wieder loszuwerden. Mit dem Harz hatte es nicht funktioniert ... es hatte ihn lediglich konserviert, damit er später, jetzt, sterben konnte. Und sein Egel hatte gleichermaßen nichts zuwege gebracht, denn auch er lag im Sterben.
Eine Zeit lang hatte Radu einen Kraftstrom gespürt, der ihn durchwogte, solange sein Organismus Garth Trevalins Lebenssaft verdaute. Doch alles, was er seither unternommen hatte, hatte ihn nur ausgelaugt wie einen tröpfelnden Eimer: Für fünf Tropfen, die hereinkamen, wurden sechs verschüttet. So konnte es unmöglich weitergehen. Er starb und baute zusehends ab. Und mit dem körperlichen Zerfall ließen auch seine Geisteskräfte nach. Deshalb hatte der Ferenczy, diese schwächliche, angeblich »kultivierte« Abart eines Wamphyri-Lords ihn zu durchschauen vermocht.
Wäre es nicht die größte Ironie aller Zeiten – oder der vergangenen sechshundert Jahre zumindest –, wenn ausgerechnet ein Ferenczy Radu den Rest geben würde? Denn es war ohne jeden
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