Vampirzorn
Widerhall des Labyrinths, schon eine Obszönität. Doch das damit einhergehende prasselnde Geräusch war weit schlimmer, denn es bedeutete, dass Radu getroffen wurde. Nicht dass Harry irgendwelche Sympathien für den Hunde-Lord hegte. Aber der gewaltige haarige, hin- und herzuckende, bebende Körper, der ihm Schutz bot, konnte den Kugeln nicht unbegrenzt standhalten, und irgendwann würde ein Treffer ihn durchschlagen!
Radu wurde ein Dutzend Mal oder öfter getroffen, als der Ferenczy, seine lautstark bellende Waffe kreuz und quer über sein zur Hälfte menschliches Ziel schwenkend, auf ihn zielte. Harry sah helle Blutspritzer an der Umfassung des Sarkophages und noch viel mehr Blut, das unter dem irrsinnigen Geknatter der Maschinenpistole nach allen Seiten spritzte, und fragte sich, ob auch er getroffen worden sei. Doch dann war es vorüber, der Hunde-Lord wurde nach hinten geschleudert und brach über ihm zusammen. Gefangen unter dem toten Werwolf, von dessen Gewicht zwischen Radus zusammengesacktem, noch bebendem Körper und der Kante des Sarkophages auf die gezackten Ränder einer geborstenen Steinplatte gepresst, versuchte Harry noch immer, die Orientierung wiederzugewinnen. Immerhin war Radu in seinen Geist eingedrungen und hätte ihn um ein Haar übermannt. Ja, der ursprüngliche Kontakt bestand weiterhin, und der Schmerz, den er empfand, waren die Todesqualen des Hunde-Lords, die nun jedoch sehr rasch abklangen.
Als der Necroscope erkannte, dass er noch am Leben war und offensichtlich unverletzt, mühte er sich ab freizukommen. Dabei war ihm die ganze Zeit über bewusst, dass ein blutäugiger Vampir-Lord über den Steinhaufen auf ihn zu geklettert kam.
Francesco ließ sich jedoch Zeit. Immerhin war Radu ein Wamphyri, und als solcher könnte er durchaus noch für Überraschungen sorgen ... die es zweifellos geben würde, wenn sein Körper erst in Flammen aufging! Vorerst allerdings gab es keinen großen Aufruhr; vielleicht hatte er Radus Egel also doch mit erwischt und mit einer Silberkugel verkrüppelt. Oder vielleicht traf es ja auch zu, dass der Hunde-Lord ohnehin bereits am Ende war, und sein Egel mit ihm. Hah! Nach sechshundert Jahren in einem Bad voller Harz, war da etwas anderes zu erwarten?
Dies in etwa ging Francesco durch den Kopf, während er vorsichtig Harry und dem Ungeheuer, unter dem dieser festsaß, entgegenkletterte.
Tot! , erscholl es im metaphysischen Geist des Necroscopen. Radu konnte es einfach nicht fassen. Ermordet von einem Ferenczy!
Getötet , korrigierte Harry ihn schweigend. Hingerichtet. Nicht ermordet, sondern erschossen – wie ein tollwütiger Hund.
So dicht davor , jaulte Radu. So dicht. Gemeinsam hätten wir Großes vollbringen können, Necroscope.
Nein, entgegnete Harry. So läuft das nicht. Keine gemeinsame Sache, nicht mit deinesgleichen. Und das weißt du sehr wohl!
Doch selbst im Tod funktionierte der Geist des alten Wolfes noch ebenso rege wie im Leben, und selbst jetzt sah er noch eine Möglichkeit, sein Dasein zu verlängern. Seine wahren Gedanken verschleiernd, sagte er: Was unterstellst du mir denn, Necroscope? Mit Beschuldigungen bist du rasch bei der Hand. Aber hast du je gesehen, dass ich etwas Unrechtes getan hätte? Was, bitte schön, habe ich dir Böses angetan, dass du mich so falsch einschätzt? Komm’ mir nicht damit, dass du annimmst, ich könnte etwas getan haben. Was weißt du über meine Taten, was hast du mit eigenen Augen gesehen?
Was sollte Harry darauf erwidern? Er hatte sich schon halb unter dem Körper des Hunde-Lords hervorgezwängt, doch dann verfingen sich die aufgesetzten Taschen an seinem Koppel an dem scharfkantigen Gestein. »Ich weiß nur, was B. J. Mirlu mir erzählte«, stieß er schließlich laut hervor. »Aber ich weiß auch, dass sie ... dass sie eine Lügnerin ist, so wie ihr alle! Eure ganze ›glorreiche‹, blutige Geschichte: eine Handvoll Wahrheiten, ein paar Halbwahrheiten, hauptsächlich aber verdammte Lügen!«
»Was?« Francesco Francezci, dessen Kopf und Schultern mittlerweile die Plattform erreicht hatten, sah nach, mit wem der Necroscope da sprach. Harrys Oberkörper ragte unter dem Leichnam des Hunde-Lords hervor und er beging den Fehler, Francesco direkt anzusehen – der seinen Augen nicht traute.
Damit hätte der Ferenczy nun wirklich nicht gerechnet.
»Was zum ...?«, entfuhr es ihm. »Wie ...?« Denn der Mann, der dort unter Radus von Kugeln durchsiebtem Körper festsaß, war derselbe Kerl, den er aus
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