Vampirzorn
Suggestivfragen zu stellen. Manchmal konnte dies aber auch ein Fehler sein. »Ich meine, Sie hätten doch genauso gut zu mir kommen können! Und wenn Sie dachten, ich beschatte Sie, weshalb haben Sie dann nicht mich angerufen? Dann wären wir beide beruhigt gewesen!«
»Ich habe nur darauf gewartet, bis Sie endlich Ihre Niederlage eingestehen«, grinste McGowan. »Ich wollte mal sehen, wie Sie mit Ihrer Theorie von dem ›Mann mit dem großen Hund‹ vorankommen. Oh, aber bloß keine Angst! Ich hätte Sie schon noch angerufen, wenn Sie ein bisschen länger gebraucht hätten.«
Das Wohnzimmer war L-förmig angelegt und hatte eine hohe Decke, war ziemlich zugig, und es roch feucht. McGowan entzündete in dem zum Heizofen umgebauten offenen Kamin eine Gasflamme, holte eine Flasche Whisky samt Gläsern, bedeutete Ianson, es sich auf einem uralten Ledersofa bequem zu machen, und nahm ihm gegenüber Platz. »George, ich muss Ihnen etwas gestehen«, begann er. »Ich habe meine Aufgabe nicht erledigt. Ich habe keinen einzigen Zoo der Umgebung abgeklappert und habe auch nicht vor, dort nachzufragen. Aber das soll nicht heißen, dass ich meine Pflicht vernachlässigt hätte! Niemals! Und weshalb nicht? Weil ich genau weiß, wo unsere Mordbestie herkommt – wo sie wohnt –, und zwar ganz gewiss nicht in einem Zoo oder Wildpark! Können Sie mir noch folgen? Oder ist das zu schnell für Sie?«
Ianson nahm sein Glas, stand auf und trat an eines der Bücherregale. »Nein«, entgegnete er. »Bislang haben Sie mir nämlich genau genommen gar nichts erzählt! Sie sagten oder deuteten vielmehr an, Sie hätten irgendwelche weitreichenden Beweise in der Hand – aber alles, was Sie bisher von sich gaben, sind leere Worte. Offenbar reden Sie von B. J. Mirlu, und offenkundig halten Sie sie für schuldig an irgendetwas. Mord, sagten Sie! Nun, durchaus möglich!« Er zuckte die Achseln. »Aber solange nicht alle Beweise auf dem Tisch liegen, bin ich von nichts überzeugt!«
McGowan war hinter ihn getreten. »Demnach sind Sie also bereit, mir zuzuhören, nicht wahr, George? Gut! Aber sind Sie dazu auch unvoreingenommen genug? Ich sagte Ihnen ja, es handelt sich um eine merkwürdige Geschichte!«
Der Inspektor hatte gefunden, wonach er suchte. Das Buch, das er schon einmal in ebendiesem Regal gesehen hatte – die zweite Auflage von Wildhunde und Raubkatzen von Angus McGowan. Er nahm es mit zum Sofa und legte es auf den Beistelltisch daneben. McGowan folgte ihm, blickte erst ihn, dann das Buch neugierig an und sagte: »Nun?«
»Aye«, nickte der Inspektor. »Ich bin bereit, Ihnen zuzuhören.«
»In Ordnung, aber unterbrechen Sie mich nicht! Ich habe eine lange Geschichte zu erzählen, und wenn ich erst einmal damit begonnen habe, will ich sie auch zu Ende bringen. Ich weiß nur noch nicht so recht, wo ich anfangen soll.«
»Versuchen Sie’s mit dem Anfang«, meinte Ianson. Und der alte Angus füllte die Gläser nach und fing an zu erzählen ...
»Ich nenne Ihnen ein Wort, über das Sie mal nachdenken können: Lykanthropie! Sagen Sie nichts, George, hören Sie einfach nur zu! Nun, Sie wissen, dass ich mich zeitlebens mit den Kreaturen der Wildnis beschäftigt habe. Man sieht es an den Büchern in den Regalen dort – die Krankheiten und Verletzungen wilder Tiere sind eigentlich mein Leben. Das meine ich wörtlich. Aber mein Interesse beschränkte sich nicht allein auf gebrochene Knochen und sonstige Leiden; was mich fasziniert, ist das Wesen der Tiere – die Zoologie, aye. Und ganz besonders haben mich immer Raubtiere interessiert, große Hunde und Katzen, vor allem jedoch Hunde. Denn, wissen Sie, in meiner Familie gibt es eine gewisse Überlieferung: Ein paar Vorfahren von mir – vielleicht nicht unbedingt Blutsverwandte, aber auf jeden Fall doch Verwandte – wurden von Wölfen getötet, und zwar ausgerechnet hier in Schottland, allerdings vor über dreihundert Jahren.
Zweifellos erinnern Sie sich an meine Leidenschaft für Mythen und Legenden? Und daran, dass ich jeden Zeitungsartikel über Bestien, die in Bodmin Moor, Dartmoor, in den Highlands oder sonst irgendwo Schafe reißen, verschlinge? Aye, und auch jede Geschichte über die richtig großen Viecher – auch wenn die meistens nicht echt sind, sondern bloß erfunden; Sie wissen, was ich meine – in irgendwelchen Lochs und so weiter? Dann packe ich in der Regel mein Bündel und mache mich auf den Weg, um der Sache auf den Grund zu gehen, und manchmal werde ich sogar
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