Vampyr
ein Schaben im Kamin. Etwas war in den Raum gekrochen, doch der Hauptmann hatte sie gerettet.
Nein, nicht Farrell. Vater! Die Erkenntnis ließ sie erstarren. Ihr Vater hatte sie vor der Kreatur gerettet, die sich ihrer in der Dunkelheit bemächtigen wollte. Aber die Kommode hatte noch vor der Tür gestanden – zumindest als sie das erste Mal hingesehen hatte. Wie hätte er in den Raum gelangen können? Kamin , wisperte eine Stimme in ihrem Geist.
Catherine unterdrückte den immer stärker werdenden Drang, die Augen zu öffnen und sich umzusehen. Erst musste sie ihre Gedanken ordnen. Nirgendwo waren Spuren der Kreatur oder eines Kampfes zu sehen gewesen. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass sich tatsächlich etwas im Gemach befunden hatte. Nur ihr Vater. Waren das Wesen und er etwa – Nein! Ihr Vater war tot, gefallen im Zweikampf gegen Martáinn MacKay. Seine Anwesenheit war ihrer Einbildung entsprungen. Hervorgerufen durch eine Mischung aus Schock und dem starkem Wein, den ihr der Hauptmann gegeben hatte. Noch immer lag das widerwärtige Aroma schwer auf ihrer Zunge, ein abscheulich metallischer Geschmack, den sie nicht recht einzuordnen vermochte. Ihr Kopf fühlte sich schwer an, obwohl sie nur ein einziges Glas getrunken hatte. Der Rebensaft war ihr so sehr zu Kopf gestiegen, dass sie sogar den Hauptmann für ihren Vater gehalten hatte. Was für ein Albtraum! Catherine rollte sich auf den Bauch. Ihre Hände gruben sich in das Laken. Klamme Kälte breitete sich zwischen ihren Fingern aus. Der Geruch von feuchter, torfiger Erde drang ihr in die Nase.
Sie riss die Augen auf. Geisterhaftes Zwielicht hüllte sie ein. Das Rauschen eines Gewässers drang an ihr Ohr. Ihr Plaid war feucht vom Nebel und ihre Finger wühlten sich in aufgeweichten Erdboden. Ihr Blick blieb an ihrer Hand hängen, auf der das Erdreich dunkle Spuren hinterlassen hatte. Eine fleischige, weiße Made kroch über ihren Handrücken. Mit einem Schrei schüttelte Catherine sie ab und stemmte sich auf die Knie. Ihre linke Hand griff in etwas Weiches. Erschrocken riss sie sie zurück und starrte auf die rote Masse, die von ihren Fingern troff. Nur langsam brachte sie es über sich, nach unten zu schauen.
Hauptmann Farrell lag auf dem Rücken. Leblos starrten ihr seine Augen aus einem bläulich verfärbten Gesicht entgegen. Ein Loch klaffte in seiner Kehle. Dicke Maden wimmelten darin, krochen über seinen Leib und glitten in den Kragen seines Hemdes. Seine Haut schimmerte wächsern. Der metallische Geruch von Blut lag in der Luft und erfüllte ihren Mund, als hätte sie sich daran gelabt. Übelkeit stieg in ihr auf. Hustend und würgend wich sie auf Händen und Knien zurück.
Catherine übergab sich, bis nichts mehr in ihr war, und selbst dann lag sie noch immer würgend und um Atem ringend auf dem Boden. Schweißgebadet kämpfte sie sich auf die Knie. Wenn du erwachst, wirst du sehen, dass ich nicht scherze. Farrell war tot. War Daeron der Nächste? Ein kühler Wind strich über Catherine hinweg und ließ sie frösteln. Zitternd sah sie sich um.
Sie befand sich am Ufer des Cáil, eines schmalen Gebirgsflusses, unweit Asgaidhs, lediglich durch ein Gebüsch von der Straße getrennt. Nebelschwaden streiften mit bleichen Fingern durch das Laub. Trübes Licht drang auf sie ein, zäh und träge. Hinter ihren Schläfen pochte es. Catherine kniff die Augen zusammen und wandte den Kopf ab. Nur langsam gelang es ihr, Furcht und Verwirrung zu verdrängen und die Kontrolle über ihren Verstand zurückzugewinnen. Sie erhob sich. Mit unsicheren Schritten ging sie zum Ufer, kniete dort nieder und hielt die Hände in den Cáil. Befremdet beobachtete sie, wie sich das klare Wasser braunrot verfärbte, als sie sich das Blut von den Händen wusch. Was war geschehen? Das Wesen. Ihr Vater. Der Hauptmann. Nichts, was sie während der vergangenen Stunden gesehen hatte – zu sehen geglaubt hatte –, ergab einen Sinn.
Ihr Blick fiel auf den Verband um ihren Knöchel. Das einstmals helle Leinen war schmutzig grau und voller bräunlicher Flecken. Erde. Getrocknetes Blut. Sie zog die Hände aus dem Wasser und wischte sie an ihrem Hemd trocken. Zögernd griff sie nach den Enden des Verbands, nur um ihre Finger sogleich wieder zurückzuziehen. Er hat sich das Blut von den Fingern geleckt. Albtraum? Wahrheit? Sie wusste es nicht. Endlich löste sie den Leinenstreifen.
Ein rotes Rinnsal wand sich wie eine dünne Schlange um ihr Fußgelenk. Es entsprang aus zwei winzigen
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