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Vampyr

Vampyr

Titel: Vampyr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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er überhaupt bemerkte, dass er sich in Gefahr befand. Roderick zog seine Hände zurück und ließ den Leichnam fallen.
    MacKay hatte ihn noch nicht bemerkt. Der Earl stand mit dem Rücken zur Tür am anderen Ende der niedrigen Kammer und entzündete eine Reihe alter Kerzenstümpfe, die auf einem Mauervorsprung über dem steinernen Altarblock standen. Die verwitterten Dochte fingen Feuer und trieben Roderick den Geruch von verbrennendem Staub in die Nase. Die kleinen Flammen knisterten leise und flackerten im Luftzug heftig auf und ab.
    MacKay blies den Zündspan aus. »Du wirst mir noch früh genug helfen können, John.« Er wandte sich seinem Burschen zu und schrak zusammen. »Hauptmann Farrell! Teufel noch mal, wollt Ihr, dass mir das Herz stehen bleibt? Was habt Ihr überhaupt hier zu suchen? Seht zu, dass ihr nach Asgaidh zurückkommt!« In versöhnlicherem Ton fügte er hinzu: »Oder wollt Ihr etwa den Gottesdienst verpassen?« Da fiel sein Blick auf den toten Burschen zu Rodericks Füßen. »Was zum –«
    Roderick ließ den Schleier fallen, der ihm seit Tagen das Aussehen des Hauptmanns verlieh, und offenbarte sein wahres Gesicht.
    »Bayne! Wie ist das möglich?«
    »In dieser Welt ist vieles möglich, das müsstest du doch am allerbesten wissen.« Roderick trat langsam näher. MacKay wich zurück. Roderick entging nicht, wie die Hand des Earls unwillkürlich an seine Seite glitt, ohne dort eine Waffe zu finden. Wie unvorsichtig, die Burg unbewaffnet zu verlassen.
    Rodericks Augen wanderten durch den niedrigen Raum, über die groben Felswände und fingen sich für einen Moment in den geheimnisvollen Symbolen, die in den Altarstein gemeißelt waren. Sein Blick streifte die Blutrinne entlang, über die vier Metallringe hinweg, die in die Steinoberfläche eingelassen waren, und blieb an einem Ledertuch hängen, das dort lag. Darunter zeichnete sich die Form eines Dolches ab. Ushanas uralter Ritualdolch. Roderick hatte die Waffe das erste Mal gesehen, als er die Ruinen durchstreift hatte, nachdem ihn Ushanas Kuss ins Leben zurückgeholt hatte.
    »Ich wollte dich sofort töten – womöglich sollte ich das auch tun. Doch das wäre eine solche Verschwendung.« Roderick trat näher. Nach wenigen Schritten hatte er Martáinn MacKay da, wo er ihn haben wollte: wehrlos in eine Ecke gedrängt.

19
    Catherines Atem dampfte in der eisigen Nachtluft. Reif knirschte unter ihren Sohlen. Langsam näherten sie sich dem verfallenen Steinbogen, hinter dem sich die Ruinen Dun Domhainns vor dem Berg erhoben.
    Daeron hatte darauf bestanden, die Pferde im Schutz einer Felsformation zurückzulassen und den Rest des Weges zu Fuß zu gehen. Er wollte vermeiden, dass sie schon von weitem gesehen wurden. Obwohl Catherine seine Überzeugung teilte, dass sowohl Martáinn wie auch ihr Vater hier sein mussten, hatten sie bisher keine Anzeichen gefunden, die auf ihre Anwesenheit hindeuteten.
    Bis gestern noch hätte nichts und niemand es vermocht, sie auch nur in die Nähe der alten Burg zu bringen. Ganz sicher nicht am Tag der Ushana. Die alte Legende hatte Catherine schon immer mit Schrecken erfüllt, und das, obwohl sie bis vor kurzem nicht einmal sicher gewesen war, ob sie die Geschichten glauben sollte, die man sich über die Schwester des Earls erzählte. Jetzt, da sie wusste, dass die Wahrheit weit schrecklicher war als die Überlieferung, vermochte Catherine kaum das Grauen zu bändigen, das sie beim Anblick der Ruine überfiel, deren zackige Umrisse sich im silbern schimmernden Mondschein abzeichneten. Sie bemerkte erst, dass sie stehen geblieben war, als Daeron nach ihrer Hand griff und sie weiterzog. Einen Atemzug später wurden ihre Gestalten vom Torbogen verschlungen.
    Die Erinnerungen, die innerhalb der Mauern lauerten, schienen alles Licht aufgesogen zu haben. Selbst das milchige Weiß des Nebels, der sich von den Bergen herabsenkte, war von einem fahlen Schleier gedämpft. Tiefschwarz, als hätte jemand die Welt in einen gewaltigen Trauerflor gehüllt, erstreckte sich die verfallene Burganlage vor ihnen.
    Der Baum in der Mitte des Hofes ließ Catherine den Atem anhalten. Dort, wo sich einst der Scheiterhaufen erhoben haben musste, wuchs die Ushana-Eiche aus dem felsigen Boden empor. Nicht einmal der Nebel vermochte zu verbergen, dass der Baum ebenso schwarz und tot war wie alles hier. Flüsternd streifte der Wind durch das kahle Geäst und brachte es in Bewegung. Wie dürre Arme reckten sich ihr die knorrigen Äste entgegen,

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