Vanilla High (German Edition)
ihrem Mann und ihren zwei kleinen Kindern, an der Pazifikküste aufgenommen. Der Steganographie sei Dank, hier findet sich die Botschaft, auf die ich gewartet habe. „Wir müssen etwas gegen das Zentrum tun. Wir bereiten etwas vor. Deine Elisabeth!“ Meine Elisabeth. Wir haben hier auf La Reunion vor fünf Jahren eine intensive Nacht verbracht. Es war eine sehr zärtliche Nacht. Ich glaube, sie hat mir in dieser Nacht das Küssen gelehrt, aber es war nur diese eine Nacht. Am nächsten Tag musste sie zurück in die Staaten. Wir kannten uns da drei Tage, hatten viel geredet und viele Gemeinsamkeiten festgestellt. Sie vertraute mir und gestand, dass sie quasi zum Untergrund in den Staaten gehörte, zum LCL, von dem ich damals zum ersten Mal hörte. Sie hat nach unserer Begegnung in den Staaten schnell geheiratet, es kamen Kinder. Ihr Mann ist ein privilegiertes Mitglied der amerikanischen Gesellschaft. Ich habe den Verdacht, dass er nicht dem LCL angehört. Ich habe mit Elisabeth nicht geschlafen, aber das bedauere ich nicht. Elisabeth Morgane, die eine amerikanische Frau, und wenn ich an Elisabeth denke, denke ich auch an die andere Amerikanerin, mit der ich Ähnliches erlebt habe. Fanny Michelin. Auch mit Fanny verbrachte ich mehrere intensive Tage auf dieser Insel. Es waren fast sogar zwei Wochen. Auch sie war damals unverheiratet, frisch geschieden, eine Touristin, die die Insel noch vor Ankunft der Tabok besuchte. Mit Fanny habe ich geschlafen. Ich habe mir so gewünscht, dass sie blieb, und ich hatte nicht den Mut mit ihr zu gehen. Ein paar Jahre später – mit Elisabeth – war es das gleiche. Elisabeth hätte bleiben können. Mit der Ankunft der Tabok gab es keine materielle Not mehr auf Reunion, aber Elisabeth, die Journalistin, hatte eine Aufgabe in den Staaten. Auf Fanny wartete keine Aufgabe. Nach ihrem Urlaub verließ sie Reunion, so wie man das halt tut und ich blieb folgerichtig auf der Insel, weil man wegen eines Urlaubsflirts nicht seine ganze Lebensplanung auf den Kopf stellt. Als ob für mich jemals so etwas wie eine Lebensplanung existiert hätte. Meine Erwartungen ans Leben waren recht diffus. Es gab gewisse Wünsche, aber auch diese waren unkonkret. Ich war verheiratet. Die Ehe währte nur wenige Jahre und blieb kinderlos, weil ich keine Kinder zeugen konnte. Es gab die medizinische Untersuchung, die dies bestätigte. Aus der Traum von den eigenen Kindern. Im Grunde hätte ich allerdings auch kein Problem damit gehabt, welche zu adoptieren, aber Yvonne gab mir den Laufpass. Eine Welt brach für mich zusammen, aber ein bisschen heilt die Zeit die Wunden. Yvonne lebt schon lange nicht mehr auf Reunion. Sie hat nie einen Tabok gesehen und führt ein mir unbekanntes Leben in Frankreich. Wir stehen nicht in Kontakt miteinander. Vermutlich ist sie verheiratet. Ich denke nicht so oft an sie, obwohl wir vier Jahre verheiratet waren. Die Ehe kam überstürzt, schon nach sechs Monaten, aber das entsprach durchaus meinem Naturell. Ich denke öfters an Fanny und Elisabeth, meine Chancen in dieser Welt. Es hat sich zu ihnen eine Art platonische Freundschaft entwickelt. Es gab das eine oder andere Abenteuer, ein paar ernsthafte, steife Versuche und die Erlebnisse der letzten zwei Tage reihen sich ein in eine Folge von Dates und Treffen, die mir letztendlich kein Glück gebracht haben. Ich bin gespannt, was der fette Paul zu sagen hat.
Ich liebe es, die Küstenstraßen dieser Insel entlang zu fahren. Das Winterwetter ist stabil, die Wintersonne scheint. Am Morgen hat es kurz und ausgiebig geregnet, nicht nur im Osten der Insel. Ich habe mich bei Paul für gegen drei Uhr angemeldet. Zeit, um noch einen kleinen Spaziergang im Hellen zu machen, wenn er sich den bewegen will. Sainte Rose liegt ein paar Kilometer von der Küste entfernt. Paul ist etwas jünger als ich, arbeitet als Biologie, hat durch seinen Job vergleichsweise engen Kontakt mit den Tabok. Will ich mit meinen Abenteuern angeben wie ein Pubertierender? Ich werde Paul neidisch machen, dabei fühle ich mich gar nicht so großartig. Der 112E summt vor sich hin. Ich liebe diese Insel, will hier warten, leben, sterben, trotz der Tabok und ihrem Programm, die Lebenserwartung der Inselbevölkerung ins unermessliche zu steigen. Natürlich kann ich mir vorstellen, mein Leben immer so weiter zu führen. Meine diffusen Wünsche konnte ich mir nicht erfüllen, aber ich leide selten, schätze die schönen Momente in meinem Leben, könnte mir vorstellen,
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