Vanilla High (German Edition)
im Alter in das Haus meines Bruders einzuziehen oder jedenfalls in seine Nähe, um jeden Tag und jede Nacht die Schönheit seines Parks genießen zu können, mit Ganja und Rotwein; der alleinstehende Onkel, der in seinem Leben Pech mit Frauen und Partnerschaften hat. Ich weiß nicht, woran es liegt. Ich habe nicht die Ansprüche des fetten Pauls, der gerne Grazien um sich hätte und sich nur auf eine Beziehung einlassen würde, wenn die Frauen zudem ihm intellektuell ebenbürtig wären. Das wäre vielleicht auch ein Anspruch von mir, intellektuelle Ebenbürtigkeit, neben einem lieben, treuen Wesen. In einem Ranking, was von einer Frauenzeitschrift initiiert wäre, würde ich bezogen auf meine Altersklasse eine durchschnittliche Note bekommen. Das bilde ich mir jedenfalls ein. Meine Frau kann auch ein durchschnittliches Ranking bekommen, wenn sie nur etwas an sich hat, was ich sehr schön finde. Ich bin durchaus für Schönheit empfänglich, für eine besondere erotische Ausstrahlung, Eigenart, wie der pralle Hintern von Alina, dem ich dienen konnte. Paul versteht natürlich genug von Evolutionsbiologie – viel mehr als ich – um seine Ansprüche als oberflächlich und zudem als völlig unrealistisch zu enttarnen. Ich verspäte mich etwas. Es ist kurz vor halb vier, als ich in Sainte Rose eintreffe. Er bewohnt die Dachwohnung und muss also regelmäßig seine hundertzehn Kilo die drei Stockwerke hochquälen, aber möglicherweise macht es ihm auch nichts aus, weil er es gewohnt ist. Es soll Menschen mit ähnlichem Gewicht geben, die Marathon laufen. Er begrüßt mich gut gelaunt, bietet mir einen Kaffee an, den ich nicht abschlagen kann. Seine Wohnung hat, wenn man die Schrägen mitberücksichtigt, eine Fläche von knapp hundert Quadratmeter. Sie ist peinlich aufgeräumt, sehr sauber, dafür sorgt eine Putzkraft, die zweimal pro Woche sich die Wohnung vornimmt. So stehen nur wenige Dinge in den einzelnen Zimmern, die alle, bis auf das Gästezimmer, sehr großzügig ausgelegt sind. Es gibt keine Bücher in dieser Wohnung, obgleich Paul relativ viel liest. Sie und auch den Memento liest er auf einem Reader, mit dem man natürlich auch alles andere treiben kann. Die einzigen Printmedien sind die freizügigen Pin-Up-Poster, die überall in seiner Wohnung zu finden sind, erotische Bilder von jungen Frauen in reizvollen Posen, nie pornografisch. Es sind darunter auch ein paar Nachdrucke von Gemälden, echte klassische Pin-Ups von Elvgren in Lebensgröße. Sozusagen „erotischer“ Höhepunkt der Wohnung ist das riesige Display, dass gewöhnlich sehr hoch aufgelöst, Fotos von europäischen Schönheiten zeigt. Wie ich, steht Paul auf hellhäutige Frauen. Das Display ist natürlich Herzstück seines Multimedia Zentrums, geeignet für Filme, Spiele, geeignet für alles Mögliche. Der arme Wichser! Umgeben von seinen Traumfrauen, die eine irgend geartete Traumwelt suggerieren, lebt er hier ein Teil seines Lebens. Ihm wird eine Wirklichkeit, eine äußerst reduzierte Wirklichkeit vorgegaukelt, die es so gar nicht gibt. Ich trinke seinen Kaffee ohne Milch und Zucker und stoße auf taube Ohren mit meinem Wunsch, noch runter zum Meer zu gehen. Der fette Paul will sich nicht bewegen, es ist aber auch schon ein bisschen Sport, da seine Wohnung auf etwa hundert Meter Höhe liegt. „Ich hatte gestern einen Dreier“, beginne ich fast angeberisch. Ich erzähle von Alina, meiner neu entdeckten sado-masochistischen Seite, von der zärtlichen Theresa, von dem feisten Arsch, der mich in den Wahnsinn getrieben hat. Ich beschreibe Alinas langes Haar, beschreibe Theresa so gut, wie ich kann, die Umstände, wie es zu Sex zu dritt kam, das Nachspiel mit Theresa. Ich erzähle dies nicht einem Therapeuten oder Seelsorger oder einem weisen Menschen, sondern jemandem, der auf diesem Felde, Sex und Beziehung, noch ein größerer Irrer ist als ich. Ich weiß nicht wie, aber manchmal hilft das. Der Irre ist Katalysator für die Entwicklung von ein bisschen Weisheit und Erwachsensein meinerseits. „Ihr Gesicht war sehr blass, glänzte etwas von irgendeiner Creme und irgendwie hatte sie farblose, ausdruckslose Augen.“ Ich weiß, dass er auf so etwas nicht steht, genauso wenig auf fette Hintern, wie den von Alina, dem Zentrum meiner Erzählung, dem Fokus meiner Höllen- und Himmelsfantasie, Pforte für die Auslöschung meines Verstands und Ausgangspunkt einer scheinbar nie gekannten Lust, für die ich zeitweise anscheinend alle meine Ideale aufgeben
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