Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Halbschalen, Schlauch, Bürste und Seifenlauge.
    In den Halbschalen würde die Seifenlauge mit Wasser angerührt, der Schlauch nach dem Prinzip der Wasserstrahlpumpe an einer Verschlußschraube am Auspuff der Fahrzeuges angeschlossen. Bei laufendem Motor würde die angesaugte Seifenlauge zur Bürste geführt, mit der das Fahrzeug abzuschrubben sei. Natürlich habe der Kraftfahrer dazu die Schutzausrüstung zu tragen.
    Wilfrieds krampfhafte Überlegungen, wie mit drei Litern Seifenlauge und der gleichen Menge Wasser ein derartiges Unterfangen bei einem Kras - Kipper gelingen könnte, wurden jäh unterbrochen.
    Er sah den Kraftfahrer des Kippers, sah ihn beim Versuch der Öffnung besagter Abdeckschraube am Auspuff scheitern. Die Rohrzange knirschte am rostigen Metall.
    „Ehe Sie den Auspuff abbrechen, demonstrieren Sie die Entaktivierung ohne die Lauge!“ befahl Stabsfeldwebel Schwengel, verantwortlich für 10 Kras - Kipper.
    Wilfried sollte in seiner Dienstzeit rasch bemerken, wie sehr das volkswirtschaftliche Problem fehlender Ersatzteile auch bei der NVA relevant war.
    Der Kraftfahrer nahm die Bürste und strich zweimal über die Tür des Fahrerhauses.
    „Haben Sie es alle gesehen?“ fragte Schwengel in die Runde und hakte den Punkt „Entaktivierung“ in seiner Kladde ab.

    Baumaterial:
    Jesse hatte mit seiner Frau zu reden. Sofort! Die Sache duldete keinen Aufschub. Was sie in ihrem Brief an den Ehemann geschrieben hatte, konnte nur Alarmstufe „Rot“ bedeuten.
    Da traf es sich gut, daß Jesse mit Beton von der Mischanlage zur Baustelle unterwegs war. Ein Abstecher nach Hause, ein kleiner Umweg würde da gar nicht auffallen.
    Sein verspätetes Eintreffen würde er ohne Probleme mit einer Panne bemänteln können.
    Den Kilometerzähler konnte man schon mal abklemmen. Das taten die anderen Kraftfahrer doch auch!
    Die Versöhnung gestaltete sich unerwartet schwierig und langwierig, die ganze Nacht hatte sie gedauert, da war der Beton nicht mehr zu gebrauchen.

    Egon Blauw bekam seinen in gleichgelagerten Fällen obligatorischen Tobsuchtsanfall, bestrafte Jesse mit der ebenso obligatorischen Urlaubs-und Ausgangssperre.
    Dem Missetäter wurde neben dem finanziellen Regreß auferlegt, den Beton aus der Mischbirne zu klopfen, wozu er eine ganze Woche benötigte.
    Als er damit fertig war, wurde eine Sondersitzung der SED - Grundorganisation der TIBK einberufen, denn Jesse war auch Parteimitglied. Sie erteilte ihm im Parteiverfahren eine Rüge.
    Wilfried aber oblag es, den Beschluß der Mitgliederversammlung in gutes Deutsch zu übersetzen und mit der Maschine zu tippen-der Spieß, der als Schriftführer dafür zuständig gewesen wäre, war beauftragte ihn damit, obwohl es eigentlich nicht statthaft war, daß SED - Interna den Nichtgenossen bekannt wurden.

    Daß der Spieß zur deutschen Grammatik und Orthographie nicht das beste Verhältnis pflegte, war Wilfried bereits geläufig. Auch die meisten Phrasen marxistisch - leninistischer Weltanschauung waren ihm zur Genüge aus der Schule bekannt, so daß es ihm nicht schwerfiel, aus den kaum lesbaren Aufzeichnungen einen Abschlußbericht für die Akten zu formulieren. Einigermaßen erstaunt aber war er, als er feststellte, welch hoher Stellenwert ehrlicher Reue beigemessen wurde.
    Reue - sie war der Schlüssel zur Wiederaufnahme in die gütige Gemeinschaft der SED - Grundorganisation. Wilfried glaubte sogar herauszulesen, daß man den reuigen Sünder mehr schätzte, als all die anderen Gerechten, die ohne Fehl waren.
    Die Erfahrung von Buße und Vergebung würde den Betreffenden fortan zum treuesten Verfechter der Sache des Sozialismus firmen.

    Auch Kutscher hatte Betonverluste, allerdings war er daran unschuldig.
    Zwar hatte auch seine Frau sich von ihm per Brief getrennt und Kutscher war es fortan verwehrt, seine beiden Kinder zu sehen, für einen Sondereinsatz Jessescher Art wohnte er aber zu weit weg vom Standort.
    Kutscher sollte den Beton in einen Stollen des unterirdischen Raketensilos fahren und dort abkippen.
    Als er den Tunneleingang erblickte, kamen ihm jedoch Bedenken.
    Der verantwortliche Offizier und Bauleiter ließ sich auf keinerlei Diskussion ein:
    „Befehl ausführen! Beschweren können Sie sich hinterher!“
    Kutscher schwang sich wieder auf den Bock und fuhr rückwärts in den Tunnel ein.
    Obwohl der Gang leicht abschüssig war, blieb die Birne beim Entladen weit unter der dafür erforderlichen Mindesthöhe. Wenige Zentimeter vor der Tunneldecke