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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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Sie plauderte eine Weile über die Vernissage, zu der wir am Abend gehen wollten. Ich hätte es vorgezogen, einfach an sie geschmiegt neben ihr zu liegen. Aber ich dachte mir, dass sie ihr Problem einfach im Strom ihrer Worte ertränkte. Und bemühte mich, zärtlich zu sein. Tatsächlich bekam ich schon wieder Lust auf sie. Aber daran war nicht zu denken. So ging sie schließlich nach einem Abschiedskuss auf meine Stirn. Ich begehrte sie so sehr. Danke, Andrea. Lass uns das morgen besprechen, ja?
    Gut. Wo war ich. Ach so. Selt samkeit kann anziehend sein, wusstest du das? He, Theiresias! Gehts noch? Ich bin gleich fertig. Nur noch eine Zigarette, ja? Also. Abends trafen wir uns in der Galerie. Der klägliche Restbestand meines Schwanzes scheuerte schmerzhaft an der Unterhose, und ich fühlte mich wie ein alter Löwe ohne Gebiss und Fingernägel. Klauen heißt das wohl. Na ja, ich ließ mich von diesem Bild von einer Frau von Bild zu Bild schleppen. Sie war wieder wundervoll gekleidet. Alle Männer beneideten mich, das konnte ich sehen. Und ich wusste nicht: War ich wirklich zu beneiden?
    Sie war jetzt meine Galeere geworden. Rudern gegen den Strom, im Rhythmus ihrer Trommel. Ich wollte sie haben, sie besitzen. Aber sie lie ß es einfach nicht zu. Sie genoss unsere Spiele, erfand auch neue. Aber etwas in ihr wehrte sich gegen die Hingabe. Sie wollte niemandem gehören, und sei es auch nur für einige Minuten. Es wurde zu einer Aufgabe für Sisyphos. Wir begannen beide zu leiden. Und allein ihre langsam sichtbar werdende Qual reichte aus, um mir ihre Gesellschaft gründlich zu vergällen. Sie wurde blass, bekam Ringe um die Augen, magerte ab. Immer häufiger musste sie absagen, weil sie unter Schmerzen oder Unpässlichkeit litt. Ein sinnloser Kampf. Und ich betete sie an. Vielleicht, weil sie ohne eigenes Zutun rein bleiben musste. Sicherlich, weil sie sich auch meinetwegen so mühte. Aber schließlich gaben wir auf. Wir machten uns gegenseitig krank. Weißt du, sagte sie, ich muss aufhören. Sonst sterbe ich an der Suche nach dem Orgasmus. Und das wäre doch wirklich höchst lächerlich. Lass uns Schluss machen.
    Einige Monate später besuchte sie mich überraschend. Wir tranken Tee wie in alten Zeiten, plauderten und waren zärtlich bemüht, Hinweise auf schmerzende Wunden aus der Vergangenheit zu vermeiden. Es war ein schöner Nachmittag. Frühling. Ein warmer Wind drang durch das offene Fenster, Vögel zwitscherten, Sonnenstrahlen tasteten die Wände ab. Würdest du noch einmal mit mir schlafen, frage sie plötzlich und sah verschämt in ihre Tasse. In mir begann ein Meer zu tosen, Wellen brachen sich an spitzen Felsen, Gischt lief von schrundigen Ufern ab. Ich konnte nicht sprechen. Ist ja gut, sagte sie. Und strich mir über den Kopf. Dann ging sie. Sie ist verheiratet, hat auch Kinder. Ihr Studium hat sie gesc hmissen. Ok, ich bin fertig. Lass uns zahlen.
     
     
     

28. VERSCHWÖRUNG
     
     
    Auf den ersten Blick wirkte es wie ein gewöhnliches Krankenhauszimmer. Verschiedene gebrochene Weißtöne, das Bett mit angefressenem Stahlrohrrahmen und dem Krankenblatthalter am Fußende, der miserable Fernseher auf einer an der Wand befestigten Kunststoffkonsole in etwa zweieinhalb Meter Höhe und der Geruch nach – ja, nach was? Es war viel Mensch darin, eine Menge organische Materie wie Schweiß, Urin, Erbrochenes und Kot; aber es schwang auch eine strenge, durch künstliche Duftstoffe notdürftig übertönte Note von scharfen Desinfektionsmitteln, sumpfigem Wischwasser und neuem Verbandsmaterial mit.
    Neben ihm auf dem Nachttisch, der futuristisch und altertümlich zugleich wirkte, weil seine erstaunliche Funktionalität mit der Schleiflackromantik aus der Küche seiner Großmutter kollidierte, stand das Schälchen mit dem nicht gegessenem Obstsalat aus der Dose und eine große Plastikflasche Mineralwasser. Ein paar speckige, eselsohrige Groschenhefte – „Schamir, der kaukasische Tiger“, „Lieb mich oder geh zur Hölle“ und ähnliche Werke aus dem Literaturschatz des Krankenhauses – lagen lieblos gestapelt daneben. Unter dem Bett versteckte sich eine leere Bettpfanne. Das wusste er, weil er sich in einer der vielen vergangenen Nächte vollgepisst hatte. Hier hieß das: eingenässt. Am nächsten Morgen präsentierte ihm die Oberschwester erzürnt das wunderlich geformte Gefäß und fragte: Können Sie nicht wie alle anderen in die Pfanne pinkeln? Eine peinigende Situation. Er lag hilflos fröstelnd in

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