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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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unglücklich auf eine Stufe im Granitboden. Hier, das ist die Narbe von der Platzwunde. Lustige Geschichte. Eine Blutlache um meinen Kopf, auseinanderspritzende Tanzpaare, plötzlich jede Menge Raum um uns herum. Und was macht das Edelfräulein? Sie kniete neben mir, barg meinen Kopf an ihrem sicherlich schweineteuren Seidenkleid und tupfte mir mit ihrem Spitzentaschentuch das Blut ab. Dabei lächelte sie mich an. Ich bin noch nicht fertig mit dem Studium, sagte sie, darum bringe ich dich lieber zum Notarzt.
    Das war, wie sich herausstellte, nicht nötig. Es war ein Arzt auf dem Ball, der mit uns direkt in seine Praxis fuhr und die Wunde klammerte. Auch er lächelte und machte einen Witz: Er hätte volles Verständnis. Bei so einer Begleiterin wäre er sicher auch vor lauter Bewunderung auf die Knie gefallen. So ähnlich. Ich fand das alles gar nicht lustig. Ihre Reaktion war wirklich unglaublich, und ich zerschmolz fast vor Scham. Ich sagte ihr das und entschuldigte mich. Sie lachte nur. So viel gelassene Überlegenheit! Eigenartig. Na ja, auf diese Weise kam sie jedenfalls mit mir nach Hause, weil sie mich in diesem Zustand nicht allein lassen wollte. Guter Trick, was?
    Du wirst es nicht glauben: Sie half mir beim Ausziehen, wusch mir das Gesicht und gab mir eine Kopfschmerztablette. Dann setzte sie sich in ihrem mit verkrustetem Blut befleckten Kleid in den Sessel neben meinem Bett und schaute mir zu, wie ich einschlief. Ein Engel, oder? Als ich in der Nacht mit brummendem Schädel erwachte, sah ich sie schlafend in dem Sessel sitzen. Ihr Kleid war heraufgerutscht, und trotz meiner Übelkeit und der wummernden Artillerie in meinem Kopf bewunderte ich im Licht des hereinlugenden Mondes ihre vollkommenen Schenkel. Sie trieb Sport. Tennis, Squash, Schwimmen, Reiten. Nun, so begann unser Verhältnis. Ich neidisch, minderwertig, tolpatschig, peinlich, krank. Sie wunderschön, stark, gelassen, gesund, reich. Keine gute Ausgangslage, kann ich dir sagen. Was sie an mir fand, weiß ich nicht.
    Hey! Die räumen schon ab. Scheiße, schon wieder so spät. Einen Schlummertrunk noch, ja? Andrea, bekommen wir noch eins. Oder vielleicht besser gleich zwei? Klasse, danke!
    Es entwickelte sich eine Art von gemeinsamem Leben. Wir trafen uns, gingen in ein Konzert oder zu einer Vernissage, tranken noch ein Glas gemeinsam und trennten uns wieder, um jeder in seinem Bett zu schlafen. Sie besuchte mich, wir tranken wie die Queen Mum Tee, dann musste sie zum Reiten. Sie lud mich in das Haus ihrer Eltern ein, die ein Schwimmbad hatten. Ich sagte höflich guten Tag, machte ein wenig Small-talk mit der schönen, wenn auch schon ein wenig angejahrten Mutter, und wir gingen Schwimmen. Das alles war ein wenig wie das Paradies. Aber ich kam einfach nicht an sie heran. Kleinbürgertum gegen Geldadel. Schon die Art, wie sie mit den Dienstboten im Haus ihrer Eltern sprach. Ja, diese Familie hatte Dienstboten. Wenigstens zwei, aber ich glaube, es war noch ein Gärtner da, der auch für die Autos zuständig war. Mindestens vier Autos, mein Lieber. Und alles Nobelfahrzeuge aus deutscher Produktion. Beängstigend glänzend, chromglitzernde Kühler, polierte Aluminiumfelgen. Vielleicht habe ich deswegen aufgehört, mich für dieses Thema zu interessieren. Da komme ich in meinem ganzen Leben niemals hin.
    Ach so, der Ton gegenüber den Domestiken. Sie war reizend, fragte auch nach Kind und Ehepartner, war die Freundlichkeit selbst. Aber ich spürte die Herablassung. Man ging gut mit ihnen um, aber sie standen auf einer anderen Stufe. Und das ließ man sie sanft spüren. Na ja, ich habe keine Erfahrung mit Dienstboten. Vielleicht gewöhnt man sich diese Art an, um sich vor zu viel Geschwätz oder Nähe zu schützen. Was weiß ich? Jedenfalls waren in diesem Haus Konventionen am Werk, von deren Existenz ich mir noch nie eine Vorstellung gemacht hatte. Es war sehr interessant, aber durch all die Aktivitäten, durch die klar definierten Regeln der Vornehmheit und meine daraus resultierende Verwirrung und Unsicherheit waren wir noch nicht dazu gekommen, miteinander zu schlafen. Es gab diese französischen Küsse zu Begrüßung und Abschied, wir gingen Hand in Hand, sie strich mir leicht über den Kopf und lehn te sich auch mal an mich, so dass ich sie in den Arm nehmen konnte. Und sie nannte mich Chérie. Aber mehr passierte nicht.
    Weißt du, wie das ist, wenn man im Schwimmbad am Rand steht und eine sehr schöne Frau im Arm hält? Du stehst halbwegs sicher

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