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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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schläft gar nicht. Er schläft nie!
    Mit ziemlich zerrütteten Nerven und einem kaputten, höchst labilen Magen trat ich nach zwei Wochen mein normales Leben wieder an. Täglich spielte ich unter Einsatz all meiner Kräfte den alerten Mitarbeiter, den geselligen Kumpel und verlässlichen Freund. Aber durch den Schleier der gewöhnlichen, der gewohnten Handlungen schimmerte stets diese Höhle mit ihrem Drachen hindurch, und das Wissen um ihr Vorhandensein brachte mich schier um den Verstand.
    Entschuldige, ich schweife ab. Ich wollte dir ja von Serena erzählen. Andererseits, eigentlich gehört es zusammen. Wegen der Balance. Zigarette? Komm, nimm von meinen. Ich mache es kurz. Ich traf sie erneut, als ich mich mal wieder unter Leute begeben wollte. Eine meiner sporadischen Disziplinierungsmaßnahmen, da ich mich nicht aufgeben, sondern durch die Wiederholung gewohnter Tätigkeiten mein altes Ich wiederfinden wollte. Wir begegneten uns zufällig auf einem Stadtfest. Wir erneuerten unsere Bekanntschaft, sie gefiel mir irgendwie immer noch, und an diesem Abend verabredeten wir definitiv ein nächstes Treffen. Erst waren ein paar Leute dabei. Dann trafen wir uns eines Tages ohne Begleitung, und ich kippte ihr meinen ganzen gärenden Müll vor die Tür. Ich war unausstehlich, extrem egozentrisch und arrogant – ein Arschloch, wie es im Buche steht. Oh, hätte sie es doch auch so gesehen und mich zum Teufel geschickt!
    Aber nein, die Psychologin fand den Fall interessant und mich nicht bescheuert, sondern eher bemitleidenswert. Wir gingen also trotz meines mittlerweile zu einer Identitätskrise ausgewachsenen Trennungsschmerzes noch ein paarmal aus. Ich fand zu meinem gewöhnlichen, beherrschten Verhalten zurück, und ehe wir uns versahen, landete ich bei ihr im Bett. Eine düstere, klamme Wohnung, ein Bad, in dem nicht nur das Waschbecken von Unsauberkeit und Gebrauchsspuren starrte. Überall vergilbter und verstaubter Flitterkram mit Fransen dran, Flecken nicht bestimmbarer, meistens ekelhafter Konsistenz auf jedem Stück Wäsche, das herumlag. Es war kein schöner Ort für die Liebe.
    Es wurde dann auch ni chts daraus. Es erwies sich, dass sie selbst ein Problem mit dem körperlichen Austausch hatte, und ich war so von meinen niedlichen Obsessionen zerfressen, dass es zu keiner nennenswerten sexuellen Aktivität kam. Komm, wir nehmen noch eins, oder? Ich lade dich heute abend ein. Bin ich dir schuldig bei der langen Geschichte. Andrea, noch zwei, bitte! Also mit Sex war nicht viel, aber die Gespräche hatten es in sich. Wie sich nämlich herausstellte, waren meine Probleme gar nicht so dramatisch, dass sie für unsere seltsame Beziehung als Anker ausgereicht hätten. Tatsächlich liebte sie nicht mich, sondern meine Ängste, meine Schwäche, mein Versagen. Denn sie war auch nicht gerade gut drauf und brauchte jemanden, der noch lebensuntüchtiger war.
    Je länger wir zusammen waren und je mehr ich mit dem Versuch Erfolg hatte, mich zurückzunehmen, desto mehr kam sie aus sich heraus. Das begann mit einfachen Zustandsbeschreibungen und steigerte sich zu kaum erträglichen Jammerarien. Ihr war immer kalt. Klar, dachte ich, in dieser zugigen Bude und bei dieser Magerkeit. Sie könne morgens kaum noch aufstehen. Komisch, dachte ich, ich wäre froh, die saubere Welt draußen wiedersehen zu dürfen. Ihre Menstruation blieb monatelang aus. Logisch, dachte ich, bei dieser Ernährung: nur Siebzigkornbrot von glücklichen Halmen, fünfmal rechtsgedrehter Joghurt, politisch korrekt geerntete Äpfel und Bananen, die singenden Chiquita-Indios freiwillig in den Schoß gefallen waren. Dazu vierzig Zigaretten täglich und abends mindestens ein Liter billiger Wein.
    Selbst einfache Entscheidungen fielen ihr häufig so schwer, dass sie damit Tage, wenn nicht Wochen schwanger ging. Klar, dachte ich, so wie du denkst, kommst du nie an ein Abwägen und eine Gewichtung heran. Wie auch immer. Ich war davon überzeugt, dass ich es ihr angesichts meiner eigenen Unsäglichkeiten schuldig war, das auszuhalten. Und während die Folter, die ich mir selbst angedeihen ließ, nachließ, füllte Serena mit ihren Misshelligkeiten das Maß wieder auf. Ja, es begann überzulaufen. Ich fühlte mich von dieser doppelten Phalanx angreifender Bestien zunehmend überfordert, so dass ich mich immer häufiger in die Abgeschiedenheit meiner eigenen Wohnung flüchtete. Am Wochenende übernachtete ich vereinbarungsgemäß bei ihr, aber während der Wochentage

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