Variationen zu Emily
schlief ich in meinem eigenen, warmen, sauberen Bett.
Spätestens nach dem Frühstück am Sonntag brach ich eilig auf. Das war aber auch eine ekelhafte Veranstaltung! Abgesehen von der grotesken Unordnung in der Wohnung, dem geradezu ubiquitären, klebenden Schmutz und dem unansehnlichen, meinen Magen zu einer eisernen Verweigerungshaltung zwingenden Sammelsurium von gerade in Verwesung übergehenden Lebensmitteln auf dem fleckigen Tischtuch waren ihre Tischmanieren von einer Art, die auch einen wildlebenden Bären zur Besinnung und zur Nutzung von Messer und Gabel gebracht hätte.
Sie sprach bei diesen Gelegenheiten immer und grundsätzlich mit vollem Mund. Eine Mischmaschine mit Tiereingeweiden hätte einen ähnlichen Anblick geboten. Sie vermengte das staubtrockene Brot mit Hüttenkäse – oder wie dieses scheußliche, körnige weiße Zeug heißt. Dazu kam ein Kubikmeter selbstgemachter Fruchtmarmelade von derart unentschiedener Farbe und Konsistenz, dass es sich wohl auch um selbstgemachte Früchte handelte. Zu Brei gerührt wurde diese Masse mit einem Tanklaster voller Speichel.
Uh! Höchst erotisch, was? Der wachsen de Ekel vor ihr und der Überdruss an ihrer immer dominanter werdenden Lebensuntüchtigkeit, die meinen armen Problemen kaum mehr eine Chance gab, bildeten gemeinsam mit meinem Selbstmitleid und meinem Pflichtgefühl ein bodenloses schwarzes Loch, in das ich jederzeit hätte stürzen können. Damit ich nicht zu tief und zu hart fiel, begann ich, den gähnenden Schlund eifrig mit großen Mengen alkoholischer Flüssigkeit aufzufüllen. Ein paar Bier am Abend habe ich ja immer als Stimulans und als natürlichen Bestandteil eines guten Lebens betrachtet. Aber damals war ich nur noch mit Hilfe größerer Mengen Bier, Wein und Schnaps in der Lage, aufrecht umherzugehen und ein scheinbar normales Leben zu führen.
Es kam dann unser erster Jahrestag, zu dem ich ihr einen Ring schenkte, wie ich ihn vorher noch nie verschenkt hatte. Es war ein schlichter goldener Reif, der nach meinen Vorgaben von einem Goldschmied gefertigt worden war, mit einem eigenhändig ausgewählten Türkis. Am Abend gingen wir zum Essen aus. In Erwartung von fliegendem Speisebrei hatte sich das rebellische Tier in meinem Magen bereits ängstlich zusammengerollt. Aber Serena hielt sich ausnahmsweise gut, wohl wegen der gediegenen Atmosphäre. Anschließend gingen wir zu Fuß zu ihr. Wir tranken weiter, und um zwei Uhr morgens überreichte ich ihr das schöne Stück mit den Worten: „Auf ein besseres Jahr!“
Sie freute sich sehr und überhörte die Bewertung, die in meinem Kommentar lag. Dann klingelte das Telefon. Eine offensichtlich informierte Freundin rief an, um zu gratulieren und anschließend eine Waggonladung Klatsch loszuwerden. Ich war bereits schwer betrunken, und ich verlor langsam die Kontrolle über die Unwesen, die in mir hausten und nur darauf warteten, losgelassen zu werden. Die beiden Frauen plauderten gutgelaunt, und ich entdeckte in Serenas Bemerkungen die Lust am Schrecklichen, das Verlangen nach Absonderlichkeiten, das vorgebliche Mitleid mit vom Schicksal schlimm getroffenen Menschen. Selbstsucht, Eitelkeit, Schadenfreude, Boshaftigkeit trieften aus ihren Kommentaren und Beiträgen.
Am nächsten Morgen war ich nicht nur furchtbar verkatert, sondern außerdem mit dem Leben fertig. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder ich veränderte irgendetwas, oder ich stürzte mich in den gefüllten Abgrund. Aber was konnte ich in meinem desolaten Zustand verändern? Wo lag die Ursache? Wo konnte ich ansetzen? Hast du so etwas schon mal erlebt? Das glaube ich. Sei froh darum. Trinken wir noch eins? Ich bin auch gleich fertig. Einverstanden? Andrea. Ah, gut. Die Kleine hat vorgezapft.
Eines Morgens wachte ich auf und drehte mich zu Serena um. Sie war wach, wollte aber die Augen nicht öffnen. Ich dachte mir nichts dabei, strich ihr leicht über die knochige Schulter und wollte mich schon wieder abwenden, um aufzustehen. Da gingen ihre Lider hoch, und mich traf ein Blick, den ich nie vergessen werde: Es war nicht sie, die mich ansah. Es war ein schreckenerregender Dämon aus jener anderen, entsetzlichen Welt. Eine blickgewordene, bestialische Bedrohung, eine direkte Konfrontation mit dem erbarmungslos Bösen. Sie starrte mich mit diesen unirdischen Augen an. Ihr Gesicht verzerrte sich. Ihre sonst weichen Züge verschwanden unter einer harten, höhnischen, unmenschlichen Fratze. Ich fuhr in echter Todesangst hoch,
Weitere Kostenlose Bücher