Variationen zu Emily
flüchtete aus dem Bett und wich vor diesem Ungeheuer bis an die nächste Wand zurück. Ohne den Blick von ihr zu wenden, zog ich mich eilends an. Ich war nur noch das schweißgebadete potentielle Opfer einer Ausgeburt der Hölle.
Und das war keine Halluzination. Es war zum Fürchten real. Das Ding fixierte mich einige Sekunden lang, dann senkte es langsam, zögernd die Lider. Ihr Gesicht zuckte einige Male heftig, als rissen stählerne Haken daran herum. Dann nahm es langsam die gewohnte Form wieder an, setzte sich neu zusammen. Es war dann eindeutig Serena, die auf ihre hässliche Art zu weinen begann. Ich floh. Was war das gewesen? Ich kam zu dem Schluss, dass hinter dem letzten der Vorhänge, hinter denen sie sich verbarg, tatsächlich der Dämon des Wahnsinns hauste. Ich war wohl einer der wenigen, der hatte erleben dürfen, wie sie auch diese letzte Verschleierung beiseite schob und sehen ließ, was ihr wahres Ich war: das Unsägliche, das Furchtbare, das über die Maßen Misslungene. Ein Etwas, das alles krank macht, was schwach ist und mit ihm in Berührung kommt. So etwas gibt es, ich weiß es seitdem. Die Hölle ist erschreckend real, man sieht sie nur selten.
Ich tat noch eine kleine Weile so, als wäre nichts gewesen. Aber als ich ein p aar Tage später mal wieder anlässlich eines Frühstücks bei ihr den Ekel kaum bezwingen konnte, brachte ich es hinter mich. Ich verließ sie. Und es begab sich, dass die schlimmsten meiner Probleme in dieser Wohnung zurückblieben. Ich war wieder frei. Soviel zum Thema Balance. Ich zahle, okay? Sie schließen ohnehin gleich.
4. WOCHENENDURLAUB
Das Brummen des Motors war einschläfernd wie gleichmäßig fallender Regen auf einem Dachfenster. Gelegentlich erschienen die Ausrufezeichen der Scheibenwischer auf der Windschutzscheibe, um zerplatzte Insektenkörper zu beseitigen.„Du hast eine schöne Stimme.“ Sabrina wandte den Kopf und sah sie an. Dann lächelte sie. Martha lächelte erfreut zurück – ein kleiner Dialog der Mundwinkel. Sie hatten einen alten Hit von Gloria Gaynor mitgesungen, der im Autoradio lief. Marthas klarer Sopran und Sabrinas Alt hatten die Stimme der schwarzen Sängerin mühelos überboten.
Martha war überrascht, dass Sabrina derart aus sich herausgehen konnte. Sie wirkte in der Praxis immer kühl und zurückhaltend. Dennoch hatte ihr Chef, ein geschäftstüchtiger Chirurg, sie wegen ihrer Kompetenz und Übersicht zur leitenden Arzthelferin befördert. Aus irgendeinem Grund empfand Martha Zuneigung zu diesem ernsten, verschlossenen Mädchen, das privaten Fragen grundsätzlich auswich und auch an den Plaudereien zwischen Kolleginnen nicht teilnahm. Aber sie war immer fair und half auch gerne aus, wenn ihre Aufgaben es zuließen. Und sie schien einsam zu sein. Vielleicht war das der Grund.
Manchmal, wenn sie die Mädchen in einer Gruppe zusammenstehen sah und über das Thema Nummer eins reden hörte, gab sie im Vorübergehen zynische Kommentare ab. Demnach waren Männer grundsätzlich dumm oder gemein oder beides, eigneten sich aber gelegentlich für ein wenig Spaß im Bett. In jeder anderen Hinsicht jedoch waren sie zu meiden, da ihre Geisteswelt wegen ihrer seltsamen hormonellen Ausstattung die einer dem Neandertaler eng verwandten Spezies war. Sie klang dann wie eine sehr alte, mit Spinnweben behangene Frau in einem verrottenden Schaukelstuhl, die die Feste der Sinne, die Schiffschaukel der Emotionen lange schon hinter sich gelassen hatte. Dabei war sie erst knapp über dreißig und auf eine herbe Art durchaus attraktiv.
Martha dagegen mochte Männer. Allerdings hatte ihr letztes Verhältnis bei ihr den Eindruck hinterlassen, dass tatsächlich ein grundlegender Unterschied zwischen den Geschlechtern bestand. Männer konnten manchmal faszinierend sein. Sie waren naturgemäß anders – eckiger, härter, häufig schärfer im Ton und manchmal so dominant, dass wenig Raum für ein eigenes Sein blieb. Aber gelegentlich zeigten sie sich auch so rührend hilflos, so bemitleidenswert überfordert von ihrer Rolle, so überwältigend zärtlich, so herrlich träumerisch. Eine andere Welt, eine andere Sprache, andere Rituale.
Was allerdings auch geschehen konnte, wenn sie sich einer Frau zu sicher fühlten und daher auf sie herabsahen, das hatte sie ja erst kürzlich erlebt. Diese Erniedrigung würde sie nie vergessen. Ihr stieg noch jetzt das Blut in den Kopf, wenn sie an sein Gelächter dachte. Danach hatte es für sie nur noch eine
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