Variationen zu Emily
„Die Hormone machen sie einfach fertig!“ Angesichts der Schwachbrüstigkeit ihres eigenen Vehikels nahm sie dann plötzlich ihren Fuß vom Gas und scherte schnell hinter dem anderen Fahrzeug ein. „Eigentlich ganz einfach mit ihnen“, kommentierte sie dieses wiederholt durchgeführte Manöver. „Lass sie vorangehen, und schon bist du aus dem Schneider. Aus dem Auge, aus dem Sinn.“
Als sie etwas mehr als die Hälfte der Strecke hinter sich hatten, setzte sie den Blinker und bog auf einen Parkplatz ab. Das kleine Auto hielt und fiel sofort in einen unruhigen Schlaf. „Warum hältst du hier?“ – „Ach, weißt du, das Auto braucht mal eine Rast. Und außerdem muss ich mal.“ Tatsächlich stank der Wagen nach heißem Öl und faulen Eiern, wie Martha nach dem Öffnen der Tür bemerkte. Andererseits war es einfach nur eine hinfällige Maschine, und Maschinen hatten keine emotionalen Bedürfnisse. Sie gingen höchstens kaputt. Und dann liefen sie einfach nicht mehr. Dieses Ding knackte zwar, wie ein alter Mann beim Mittagsschlaf schnarcht, aber es funktionierte noch. Also wollte Sabrina eine Pause machen. Fein.
Martha lehnte sich ru hig in den Sitz zurück und genoss die Sonne, die durch die geöffnete Tür auf ihr Gesicht fiel. Es war Freitag nachmittag, sie hatte Zeit, und die Vogesen und die Idylle waren nicht mehr fern. Sollte Sabrina doch in Ruhe pinkeln und sich die Beine vertreten. In ihrem Bauch herrschte Frieden.
Sabrina schälte sich elegant aus dem durchgesessenen, orange-braun gestreiften Fahrersitz, streckte sich und schob dann ihren schlanken Oberkörper nochmals in den Wagen zurück: „Komm, nach der langen Zeit musst du doch bestimmt auch. Es ist noch ein ganzes Stück, und ich würde ungern nochmal anhalten.“ Martha schüttelte schweigend den Kopf. Eine Reise ins Unbekannte. Eine herbstliche Sonne, Wärme, Entspannung und eine positive Erwartung. Was konnte es Schöneres geben? Sabrina stellte die Antwort nicht zufrieden: „Los, komm doch mit!“ Sie lachte albern. Martha zuckte zusammen und öffnete die Augen. Es war das erste Mal, dass sie diese herbe, maskuline Frau wie einen pubertären Backfisch erlebte. Sabrina spürte den irritierten Blick. Ihr Gesicht wurde streng. Der Ton war um einiges schärfer, als sie sagte: „Ich gehe ungern allein in die Büsche. Du könntest doch einfach Wache halten. Den Gefallen könntest du mir wirklich tun. Schließlich fahre ich dich die ganze Zeit durch die Gegend.“
Was sollte das? Sabrina hatte keine Angst. Aber warum drängte sie dann so? Was hatte sie davon, wenn sie mitging? Ein höchst merkwürdiges Verhalten. Außerdem war der Tonfall verletzend. „Nein, ich bleibe hier“, sagte sie bestimmt. „Es tut dir schon keiner was.“ Sabrina unternahm keinen weiteren Versuch. Sie verschwand wortlos hinter den Büschen, dorthin, wo schon viele Frauen und Männer ihrem Drang nachgegeben und etwas sehr Persönliches hinterlassen hatten. Darauf war sie wirklich nicht scharf. Komische Person, dachte sie.
Die Autobahn endete kurz vor einer verwaisten Zollstation, die sie passierten. Dann stiegen sie auf einer einsamen Landstraße in die bergigen Wälder auf. Sehr schön war es hier, ein Vorgeschmack auf das zurückgezogene Leben. Winzige Dörfer, eine sich am Hang emporwindende und dann plötzlich wieder abfallende Straße und sehr viel scheckiges Grün mit Einsprengseln von tiefem Rot und lichtem Braun, das sich über ihnen aufreckte oder sich in Steilkehren in schmalen Tälern zeigte. Außer Vögeln und Eichhörnchen waren keine Tiere zu sehen, aber Martha vermutete, dass viele kleine Lebewesen neugierig nach ihnen äugten und später, wenn ihre Abgasfahne sich aufgelöst hatte, ihren Pfad kreuzten. Dem Auto wurde in diesem dauernden Auf und Ab viel abverlangt, und Martha entwickelte nun doch ein wenig Verständnis für Sabrinas Wunsch, ihm vorher eine Rast zu gönnen.
Kilometer um Kilometer ging es durch eine schmale Schneise aufwärts. Dann passierten sie ein pittoreskes Schild, von Hand beschriftet in einer seltsamen Mischung aus Deutsch und Französisch. „Col de la Schlucht“, verkündete es. Sie glitten auf dem schmalen Betonband hinab in ein weites Tal, das sich ein kleines, im spä ten Sonnenlicht glitzerndes Flüsschen als Zufluchtsort gewählt hatte. Martha genoss dieses geruhsame Schaukeln auf den Wellen der Straße unter den Wipfeln uralter Bäume, den Anblick des Laubs in seinen vielfältigen Färbungen und die immer wieder
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