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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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plötzlich aufblitzenden Gewässer in tiefen Einschnitten.
    Sie bogen von der Hauptstraße in einen holprigen Pfad ab, der wirkte, als sei ein Treck auf dem Weg in den Wilden Westen gerade vorübergekommen. Sie rumpelten dahin, bis ein hölzernes, verfallendes Gatter ihnen den Weg versperrte. Sabrina stieg aus und öffnete das schief in den Scharnieren hängende Tor, das ein durchdringendes Quietschen von sich gab. Dann folgten sie einer Schotterstraße durch ein düsteres Waldstück, in dem wahrscheinlich noch diese vorsintflutlichen hasengroßen Pferde und ein paar Exemplare des Archäopteryx hausten. Aber bald entdeckte Martha ein paar niedliche Holzhäuser, die ein wenig an die Forts auf den Spielplätzen erinnerten, in denen die Jungen in ihrer Kindheit so gern Indianer und Cowboy gespielt hatten. Blöde Spiele, bei denen man als Squaw immer in der Hütte zu sitzen und Sandsuppen zu kochen hatte, während die Jungen draußen Krieg führten oder Wild beschafften – meistens in Form von alten Schuhen, vermoderten Socken, morschen Stöcken oder zerbeulten Getränkedosen.
    Aus der Nähe sahen die Häuschen sehr heimelig aus mit ihren überdachten Veranden, den beiseitegeklappten hölzernen Läden neben den Fenstern und den schindelgedeckten Dächern, die sich weit herunterneigten. Es gab sogar einen kleinen Platz, von dessen Stirnseiten sich eine weißgetünchte Kapelle und ein stattliches Gebäude ernst anblickten, in dem sich wohl die Schule oder das Rathaus befand – wenn die klugen Menschen hier überhaupt so eine Institution benötigten.
    Der weiße Kies, auf dem sie jetzt fuhren, knirschte leise unter den Reifen. Er schien regelmäßig geharkt zu werden, denn er war gleichmäßig verteilt und ließ kein Anzeichen des darunter lauernden Erdreichs erkennen. Alles atmete eine Atmosphäre von Sauberkeit und peinlicher Ordnung, als wäre hier eine strenge Autorität am Werk, die die Befolgung ihrer Regeln unnachsichtig durchsetzte. Ein wenig wie ein kitschiges Ölgemälde, dachte Martha. War das hier Romantik oder Kitsch? Dabei sah sie sich nach den Menschen um, die diesen Ort der Reinheit bewohnten.
    Es war Freitag nachmittag. Aber es herrschte die ein wenig beklemmende Stille einer Geisterstadt, die selbst die Geister längst verlassen hatten. Niemand war auf den Gässchen unterwegs, und auch hinter den Fenstern der Häuser waren keine Bewegungen auszumachen. Nur das heisere Gebell des kleinen Motors zeigte an, dass hier jemand unterwegs war. Die Ruhe, von der Sabrina gesprochen hatte, wirkte gespenstisch. Kein Mensch zeigte sich, obwohl man doch hätte erwarten können, dass der Lärm ihres Autos Neugierige hervorlockte.
    Doch plötzlich, als sie neben einem der Häuser geparkt hatten, ging eine Tür auf, und eine wuselnde Menge blonder Kinder quoll heraus, die sie mit ihren hellen Stimmen willkommen hießen, sie freundschaftlich um armten, nach einem Begrüßungskuss verlangten und ihnen bei ihrem Gepäck helfen wollten. Selbst das Kleinste, ein Kerlchen von vielleicht drei Jahren, griff strahlend nach Marthas Handtasche und lief dann jauchzend damit ins Haus zurück, als hätte es die Beute seines Lebens gemacht. An der Tür zeigte sich eine mütterlich wirkende Frau, die lächelte und winkte und gleichzeitig ihre Kinder mit kurzen Zurufen dirigierte. Sie wirkte wie der Gegenentwurf zu Sabrina. Sie war rundlich und trug eine geblümte Schürze über ihrem altmodischen, ebenfalls geblümten Kleid. Ihre Haare hatte sie zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengesteckt.
    Aber vor allem fiel Martha der Ausdruck von Gelassenheit und Heiterkeit in ihrem Gesicht auf, und ihre Stimmung hellte sich wieder auf: Also doch! Reizende, ungehemmte Kinder und eine zufriedene, herzliche Mutter, die ihren Aufgabenbereich offensichtlich im Griff hatte. Denn als sie schließlich die geräumige Wohnküche betraten, die nahezu das gesamte Erdgeschoß einnahm, duftete es nach Kaffee und frischgebackenem Kuchen, so dass Martha sich an ihre Kindheit erinnert fühlte. Bei ihrer feinen Großmutter hatte es auch manchmal so köstlich gerochen. Die Mutter ihres Vaters stammte aus einer Juweliersdynastie und hatte auch im Alter von achtzig Jahren noch so viel Schmuck an Händen, Hals und Busen getragen, dass die Königin von England vor dieser gleißenden Vulgarität zurückgezuckt wäre. Sie war längst tot. Aber ihr Kaffee, den sie sich direkt von einer Privatrösterei aus Bremen liefern ließ, lebte in Legenden immer noch fort.
    Die

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