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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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Pochen hin schnappte die Zentralverriegelung auf. Sie stiegen beide hinten ein und ließen sich in die seufzenden Polster fallen. Auf dem rechten Vordersitz schimmerte matt eine schwarze Pistole.
    „In zwei Minuten wäre ich losgefahren, Meister“, brummte der Fahrer. Im fahlen Licht der Innenbeleuchtung glitzerten Schweißtropfen auf Stirn und Oberlippe. „Da rechts in dieser Laube haben sich schon ein paar von den Typen versammelt. Ich g laube nicht, dass sie sich dort normalerweise wohlfühlen.“ Es war eine sehr dunkle, von den spärlich verstreuten Straßenlaternen nicht berücksichtigte Ecke zwischen zwei Hochhäusern, wo in der Tat eine undefinierbare Masse von Körpern wogte. „Fahr los, Jacko“, sagte Andrea und lachte hell auf. „Bist doch nicht zum ersten Mal hier. Fahr einfach und steck dir deine Schreckschusspistole in den Arsch. Nützt doch ohnehin nichts gegen Messer und Baseball-Schläger.“ Das Taxi wankte kurz, als sich Jacko nach ihr umdrehte und eine heftige Entgegnung zu erwägen schien. Doch dann trat er das Gaspedal durch, und das alte Fahrzeug schoss mit einem wilden Sprung vom Bordstein auf die Straße.
    Ein Kieselstein von der Größe einer Kinderfaust beschrieb eine anmutige Parabel und zauberte mit einem harten Geräusch ein glitzerndes Spinnennetz auf die Windschutzscheibe. „Du Schlampe“, schrie Jacko mit sich überschlagender Stimme, während er wild am Lenkrad hantierte, „das waren deine Scheißfreunde! Jetzt ist meine Scheibe hin!“ Er beschleunigte und begann, mit quietschenden Reifen Slalom zu fahren. Andrea lachte nur und rückte dicht an Thomas heran. Ihm wurde warm. Ihr Parfüm roch sehr blumig. Aber wie auch immer der Abend sich entwickeln würde: Er würde sie nicht in diesen Hinterhalt zurückbringen; das sollte gefälligst ein anderer Taxifahrer übernehmen. Hier war die Bronx oder Little Italy. Hier brauchte es Leute vom SAS, um zu überleben.
    Er lotste den vor sich hinschimpfenden Taxifahrer vor den Eingang vom Schützenhof, in dem er einen Tisch bestellt hatte. In dieses noble Restaurant ging er eigentlich immer nur beim ersten Treffen mit einer interessanten Frau. Danach war es ihm schlicht zu teuer. Er hatte vor Jahren einmal vorgehabt, hier allein die Silvesternacht zu verbringen – in Gesellschaft guter Weine, eines exquisiten Menüs, einer großen Havanna, eines feinen Digestifs und einer dezent agierenden Bedienung. Er hatte schon so genau gewusst, was er essen würde, dass ihm die Vorfreude das Wasser in den Mund trieb. Auch der Ausklang des Abends stand ihm klar vor Augen: zu Hause, die Füße auf der Heizung, ein Glas prickelnden, kühlen Champagners neben sich, während der Rest der Welt Sprengstoff in die Luft jagte. Doch der Wirt hatte auf seine einige Wochen vor dem Ereignis gestellte Frage hin nur kurz gestutzt und gesagt: „Silvester? Da haben wir doch zu.“ Seitdem kam das Etablissement auch in seinen Gedanken nur noch bei Anlässen wie dem heutigen vor. Es war gut zum Angeben und gut für den Anlauf vor dem großen Sprung – in das kalte Wasser einer schroffen Abfuhr oder in das warme, weiche, belebende Bad einer Liebesnacht.
    Der Taxifahrer – oder Jacko, wie Andrea ihn genannt hatte – wollte zunächst die Windschutzscheibe bezahlt haben, aber Thomas bot ihm schließlich ein so gutes Trinkgel d an, dass er sich murrend damit zufrieden gab. Als die alte Kiste rasselnd und scheppernd abfuhr, hakte sich Andrea wieder bei ihm ein, lächelte ihn lieb mit großen Augen an und sagte: „Toll! Hier drin war ich noch nie!“ Der Oberkellner grüßte höflich, nahm ihnen die Mäntel ab, nannte Thomas bei seinem Namen, was Andrea beeindruckt zur Kenntnis nahm, und geleitete sie an einen Ecktisch, auf dem eine leicht zuckende Kerzenflamme mit Gläsern und Besteck in regem Funkkontakt stand.
    Sie bestellten beide Wild als Hauptspeise, und Thomas wählte dazu einen alten, schweren Margaux. Kaum war der Aperitif serviert, glitten ihre Gedanken aufeinander zu, so dass sie von ihrer Umwelt nichts mehr wahrnahmen. Sie saßen unter einem Schirm gegenseitigen Interesses, der nur gedämpfte Stimmen, wohlige Wärme und ein Aroma selbstverständlicher Geborgenheit zu ihnen dringen ließ. So entging ihnen, dass in einer anderen Ecke des großen, niedrigen Raumes zwei Frauen schweigsam geworden waren.
    „Das ist er“, sagt Martha endlich. „Und er muss ausgerechnet heute abend mit einem billigen kleinen Flittchen herkommen. Arsch, Arsch, Arsch!“ Sie

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