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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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Boden verteilte. Keine fünf Minuten später saß er wieder so da wie kurz zuvor. Gläser und eine neue Weinflasche standen vor ihm. Die Kerze flackerte leicht und verbreitete friedvolles Licht. Eine neue, gestärkte Tischdecke schimmerte makellos. Aber in seinem Gesicht brannte es: Nachwirkungen ihres Schlags, aber auch die Scham, vor all diesen Leuten bloßgestellt worden zu sein.
    Das würde sie büßen! Er hatte absolut die Form gewahrt und war ihr in keiner Weise zu nahe getreten. Sie hätte sich jederzeit aus einer Situation befreien können, die sich für sie vielleicht als kompromittierend darstellte. Was war nur in sie gefahren? Ohne jede Vorwarnung drehte sie plötzlich durch. Da gärte sicherlich schon lange etwas in ihr, das mit ihm gar nichts zu tun hatte. Sie war unglücklich, trank zu viel und ließ ihren Jammer dann an ihm aus. Aber das ließ er nicht mit sich machen. Begründungen für Fehlverhalten sind immer leicht zu finden. Dieser Auftritt würde sie ihre Stelle im Brit kosten. Ein Anruf beim Wirt gleich morgen vormittag , zur Not die Drohung, einen hässlichen Artikel in seinem Blättchen zu veröffentlichen. Das musste wirken!
    Mit gesenktem Kopf sah er sich im Lokal um und versuchte zu ermitteln, ob die anderen Gäste über ihn redeten. Die meisten wahrten professionelle Gleichgültigkeit, einige allerdings blickten im Gespräch lächelnd zu ihm herüber. Da ging es offensichtlich um ihn. Aber da hinten! Um Himmels willen, das war doch Martha! Was wollte sie denn ausgerechnet am Abend seiner größten Niederlage hier? Und wer war diese andere, diese Hagere? Scheiße, jetzt half nur Disziplin. Er hatte sie nicht gesehen, sondern nur über den Wein sinniert! Zurücklehnen, als wäre alles in Ordnung.
    Ja, meine Damen und Herren, so sind die jungen Frauen heute manchmal. Aber wir stehen doch über diesen Dingen, oder? Wir lächeln darüber, amüsieren uns über diese entzückende Wildheit und genießen bei dem Schauspiel unseren – übrigens sündhaft teuren – Wein.
    Was er dann auch versuchte. Er entspannte sich bewusst, beorderte das in ihm tosende Adrenalin in weit entfernte, unwichtige Gefäße, um das Zittern seiner Hände zu beenden, nippte an der öligen, tiefroten Flüssigkeit und winkte dann mit gemessener Geste einem Kellner. „Ich hätte gerne eine Zigarre, eine Havanna. Was können Sie mir anbieten?“ Er fachsimpelte ein wenig mit dem Mann, der ein ausdrucksloses Gesicht wahrte, und bestellte sich eine Corona. Als eine Weile später die Flasche Wein geleert war und der bläuliche Rauch der Zigarre ihn in großen Schlingen umspielte, fühlte er sich genau so, wie es seine leicht amüsierte, gelassene Haltung vermuten ließ. Was für ein Schauspiel! So etwas hatte er noch nie erlebt. Ein Ausbruch aus heiterem Himmel. Und er war so hilflos, so auf sein Ansehen bedacht gewesen, dass ihm die geeignete Antwort gar nicht in den Sinn gekommen war: eine Ohrfeige und ein kaltes „Herr Ober, ich zahle!“
    Na ja, so war es ja auch noch ganz gut geworden, trotz dieser kleinen Wildkatze. Aber komisch. Nahezu alle seine Frauen litten an sich und ihrem Leben, und sie sprachen nur über ihr Leid, anstatt einfach den Augenblick zu genießen. Ob das mit ihm zusammenhing? Jedenfalls hatte diese Entwickl ung auch etwas Positives. Er musste sich keine Gedanken darüber machen, wie er sie nach Hause in ihre Verbrechergegend schaffen könnte. Jetzt noch einen starken Espresso und einen Himbeergeist, dann konnte er erhobenen Hauptes gehen. Die Zigarre würde noch eine knappe Viertelstunde brennen. Er gratulierte sich zu dem guten Timing.
     
     

14. VERSUCHER
     
     
    Das war er also ... na ja, nicht übel, der Typ ... aber so eine Arie deswegen anzustimmen ... eben ein Mann ... nicht, dass ich den abgelehnt hätte ... ein wenig zu füllig ... aber gute Augen, ein schönes Lächeln ... bis diese Schlampe laut wurde ... ha, da blätterte die weltmännische Tünche schnell ab ... hatte sich aber erstaunlich schnell wieder im Griff ... lehnt sich zurück und bestellt sich gelassen eine Zigarre ... schaut in die Gegend, als wäre nichts gewesen ... grinst sogar vor sich hin ... ziemlich viel Selbstbewusstsein ... oder Beherrschung ... wie Frank ... auch ein Typ aus Eisen ... wenn man es auch nicht immer sieht ... und das kleine Mädchen bricht fast in Tränen aus ... muss auf den Gaul immer noch einen Sattel aus Gefühl drauflegen ... und wundert sich, wenn er steigt ... geht mir ganz schön auf die

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