Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
Vom Netzwerk:
gegenüber einem vermeintlich Schwächeren austoben. Un sere Nächte wurden zunehmend zu Dominaveranstaltungen. Keine Peitschen oder Ketten, versteh mich recht. Aber sie forderte und setzte diese Forderungen mit allen Mitteln durch. Sie wurde gänzlich skrupellos, wenn es um ihre Lust ging. Sie hatte gelernt, dass bei mir ohnehin nichts zu holen und ich wegen dieser Schwäche zu allem bereit war, um ihr zu gefallen. Also ließ sie nichts aus.
    Psychologie im ersten Semester. Mein Leben, meine Wünsche waren ihr scheißegal. Sie kümmerte sich um ihr eigenes Wohlergehen – in meinem Falle um das achtlose Ausschütten des Tagesmülls und das Erreichen des Nachtziels. Sie trug während unserer Treffen immer die Rüstung in Form eines harten, gefühllosen Gesichts, und sie war kalt bis zur Verletzung, weil sie sich keine Blöße geben wollte. Armes Weibchen! Ich dagegen war offen bis zur Selbstopferung, verletzlich, schwach und ohne jegliche Scham. Ich jagte ja nur ihrem Nachtgesicht nach, das ich leider nie wiedersehen sollte – ihrem eigentlichen Selbst, das sie verbergen zu müssen glaubte. Eine weiche, sensible Frau, die den kampferprobten Ritter spielte.
    Sie war im Vorteil. Sie musste sich nur hinlegen und Aktivität fordern. Ein sanft ausklingendes Streicheln ihrer Brüste, gedacht als Vorspiel zu einem ersehnten, tiefen Schlaf, kommentierte sie lautstark mit „Hört der jetzt einfach auf!“ Der – das war ich. Und ich war dazu verdammt, todmüde und angeödet an ihr herumzumachen, bis sie kam. So ein Spiel kann ja eine Weile lang ganz amüsant sein, solange es als solches zu erkennen ist. Und solange es nicht demütigend wird. Aber wenn es nur ein Vehikel ist, um auf Kosten anderer seinen Profit zu machen, wird es ernst. Und ich begann zu leiden. Ich fand mich von ihr nicht mehr wahrgenommen. Ich spielte für sie den Lustknaben – aber warum, zum Teufel? Ich konnte den Gral, der mich bezaubert hatte, nicht wiederfinden. Ich wusste um ihre Wehrlosigkeit, um ihre Scheu. Aber was nützte mir das, wenn ich ständig mit einer auf Hochglanz polierten Rüstung zu tun hatte, die sie nie mehr ablegte?
    Ich hatte Mitleid mit ihr, mit dieser hübschen Frau, die wegen irgendeines nur für sie wahrnehmbaren Makels immer um Anerkennung und Respekt kämpfte. Aber ich war es langsam leid, für die Unvollkommenheit des Universums büßen zu müssen. Nach wie vor machte ich es ihr, wie sie es wollte, und bei mir geschah noch immer – nichts. Eines Abends wollte ich es dann endlich wissen. Meine anhaltende Nichterregbarkeit ließ Verzweiflung aufkommen. Mit diesem Problem war ich bislang noch nie konfrontiert worden. Ich fing an, mir über HIV und andere unerfreuliche, wenig erforschte Liebesgefährten Gedanken zu machen. Vielleicht der Bierkonsum? Oder waren bei einem nicht wahrgenommenen Giftgasangriff die kleinen Männlein umgekommen, die in meinem Kopf die Gefühlshebel bedienten? Es konnte jedenfal ls so nicht weitergehen. Ich musste die ultimative Probe machen.
    Also wanderte ich entschlossen mit dem Mund an ihrem weißen, weichen Körper herab und versuchte eine neue Var iante. Ich hoffte inständig, dass mit Hilfe dieses erotischen Schachzugs meine Sinne geweckt würden und auf einmal alle Probleme gelöst wären. Lachhaft, oder? Hatten ja nicht alle mit dem Schwanz zu tun. Aber manchmal denkt man seltsam. Als ich das Ziel vor Augen hatte, wurde ich plötzlich hellwach. Ich hätte mir fast auf den Schenkel geschlagen, wenn ich nicht so ungünstig gelegen hätte: die untere Hälfte instabil schwebend zwischen Bett und Teppichboden, der Oberkörper mit Hilfe der Armmuskulatur halbwegs auf dem unteren Ende der Matratze fixiert. Eine Übung für wettkampfgestählte Bodenturner.
    Die Erkenntnis traf mich wie die Rechte von Muhammad Ali: Sie roch nicht. Sie roch nach nichts. Optisch und haptisch stand mir alles zur Verfügung, was zu einer aufregenden Frau dazugehört. Aber es war fad, geruchlos, tot. Kastriert. Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ihre Achselhöhlen, ihr Hals, ihre Brüste immer nur die synthetischen Düfte von Parfum, Pflegeölen und Deodorant abgestrahlt hatten. Sie verbarg sogar ihren menschlichen Duft vor der Welt! Arme Ricarda. Arme Dona Qixote. Na ja, nach dieser Nacht dauerte es nur noch wenige Tage, bis ich diese frustrierende Affäre ziemlich lieblos beendete. Ich war ihr nichts schuldig. Sie hatte sich für eine Weile erfolgreich mit fahrenden Rittern messen dürfen. Ich aber hatte

Weitere Kostenlose Bücher