Variationen zu Emily
träumte ich von einer eigenen Geschichte. Ich hatte so viel Mist lesen und umdichten müssen, dass ich überzeugt war, aus mir heraus etwas schaffen zu können, das um vieles besser war. Doch kaum hatte ich mich befreit, lag mir der eigene Strick um den Hals. Alles war da: Erfahrung, Handwerkszeug, Talent. Aber es gab in mir keine Geschichte.“
Wie im Traum standen die bestellten Getränke plötzlich auf dem Tisch. Martha nippte an dem Grappa, goss sich ein Glas wichtigtuerisch aufbrausendes Wasser aus dem winzigen Fläschchen ein und nickte. „Gut. Sie hatten keine Geschichte. Sie drohten an Ihrer Freiheit zu scheitern. Und dann?“ Leo trank den Grappa in einem Zug aus und sah sich unruhig nach der Bedienung um. Er trinkt gern! Dabei wirkt er so solide. Andererseits: diese Ränder um die Augen, die blasse Haut. Trinkt vielleicht zu viel und schläft zu wenig.
Er zeigte der am Horizont vorbeischwebenden Bedienung das leere Glas und wandte sich ihr wieder zu: „Ich suchte also vergeblich in meinem Leben. Es war öde und langweilig, was ich da fand. Die Lösung schien dann e infach zu sein: Ich musste außerhalb suchen. Stellen Sie sich vor, Sie wählen eine Person aus Ihrer weitläufigen Umgebung aus und schreiben ihr ein erfundenes Leben zu. Sie kennen die Person gar nicht persönlich. Sie haben nur eine Reihe von beiläufigen Lebensäußerungen, und dazu bauen Sie den Rest. Daran arbeite ich. Und zufälligerweise gehören Sie in diese Geschichte.“
Eine stark geschminkte junge Frau suchte in ihrem kleinen, von einem Pariser Couturier entworfenen Lederrucksäckchen nach irgendetwas. Sie wühlte in der engen Öffnung und förderte zunehmend aufgeregt nacheinander ein Dutzend farbenfroher Lippenstifte, eine Haarbürste, ein Pillendöschen, einen Schminkspiegel, einen Slip und schließlich einen Autoschlüssel zutage. Mit rotem Gesicht stopfte sie alles bis auf den Schlüssel hastig wieder zurück und verabsc hiedete sich artig mit Wangenküsschen von der gesamten Runde. Dann ging sie leicht wankend zum Ausgang und zog dabei eine Schleppe von teurem Parfum hinter sich her. Vor der Tür rammte sie den Garderobenständer, so dass die daran hängenden Kleidungsstücke einen unfreiwilligen, makabren Tanz aufführten. Als sie endlich den Weg hinaus fand, drängte sich ein Kubikmeter kalter, klarer Novemberluft in den warmen Dunst. Doch sogleich waberte wieder Dämmer über die entstandene Lücke. Martha musste lächeln und stellte fest, dass auch er amüsiert aussah. Er kippte den zweiten Grappa herunter, der irgendwie auf dem Tisch gelandet war, und lachte dann laut heraus.
„Was ist? Sie lachen, und ich weiß immer noch nicht, warum Sie im richtigen Moment wie Parzival aus dem Dunkel auftauchten und mich retteten.“ Er wurde wieder ernst: „Das war reiner Zufall, wenn es so etwas gibt. Ich sah Sie aus der Ferne und folgte Ihnen für eine Weile. Au s Neugierde, wie ich zugeben muss. Aber Autoren müssen neugierig sein. Das verstehen Sie doch?“ Sie nickte. Sie wusste nicht, ob sie alles verstand, aber jetzt wollte sie nur noch nach Hause. Sie war todmüde. Und er hatte sie gerettet. Also war er heute abend irgendwie für sie verantwortlich. „Bringen Sie mich nach Hause?“ Er zahlte, half ihr in den Mantel und hielt dann auf dem Weg ihre Hand, bis sie vor ihrer Haustür standen. „Danke, Leo. Ich bin Ihnen viel schuldig. Kann ich etwas für Sie tun, um mich zu revanchieren?“ Sie freute sich auf ihr Bett, auf Alleinsein, auf eine heiße Dusche vor dem Schlafengehen, auf ihren zuverlässigen kleinen Bären, der auf sie wartete. Aber er hatte etwas gut bei ihr. Seine Antwort war Balsam, war wie warme Hände auf einer schmerzenden Stelle: „Wenn ich Sie sicher sehe, bin ich glücklich. Wir werden uns wiedersehen. Schlafen Sie gut und vergessen Sie alles!“
Er drehte sich um und ging. Er ging ein fach – ohne Händedruck, ohne Kuss, ohne auf einer Verabredung zu bestehen. Er ging davon.
17. RAMBO
Scheiße, das tut weh ... blutet wie Sau ... was hatte der Typ bloß in seiner Tasche ... ein Bügeleise n, oder was ... das ist kein Riss, das ist ein Loch ... und was für eins ... Mann, ich muss damit nach Hause ... habe es der Schwester versprochen ... heute abend aufzupassen ... sie muß ja arbeiten ... das wird ein Theater geben ... Junge, was hast du gemacht ... bin unglücklich gestürzt ... ja Scheiße ... wer’s glaubt ... das muß geklammert oder genäht werden ... Paps wird es
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