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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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Bett, die Schubladen des Nachtschranks? Die Zwischenräume der Polster auf dem Sofa, in denen sich neben selbstvermehrendem S taub schnell kleine, lang vermisste Gegenstände zusammenrotteten? Nein, es war wirklich alles in Ordnung. Weg mit dem kleinen Schnipsel, in die Toilette mit ihm. Und nachgespült. Dann noch ein wenig von dem antiseptischen blauen Zeug hinterher, das den einfachen Fäkalientrichter in einen eigenwillig geformten Pool für Zwergenwesen verwandelte.
    Sie ging in das Wohnzimmer, setzte sich in ihren barocken Lieblingssessel, zündete eine Zigarette an und lehnte sich zurück. Sie hatte sich die Achselhöhlen und die Beine rasiert und sogar ihre Schamhaare zu einem schmalen, vertikalen Streifen zurechtgestutzt. Jetzt war nichts mehr zu tun. Wo blieb sie nur? Warum rief sie nicht an? Scheiß drauf! Sie wollte etwas trinken, und danach würde sie die Steaks braten. Wenn sie nicht kam, vielleicht gar nicht kommen wollte? Eine Form der Rache? Für die vergangenen fehlgeschlagenen Treffen? Oder: Sie war aufgehalten worden, weil sie etwas ganz Besonderes mitbringen wollte. Und stand gerade schwitzend in einer Schlange vor der Kasse. Oder hatte ein Erlebnis mi t einem Exhibitionisten. Sie musste kichern, als sie an das armselige Männchen dachte, aus dessen wie ein unordentliches Mäusenest wirkenden Schamhaar diese schon fast niedliche Erektion emporragte, die sie mit Hilfe eines kalten Stahlgeflechts zu einem Häuflein formloser Haut zusammenschrumpfen ließ.
    Noch immer nichts. Kein Summen des Telefons, kein Rasseln der Türklingel. Sie entfernte das mit Draht gehaltene Hütchen und drehte leicht am Korken. Durch die Kraft der Kohlensäure wurde er herausgedrückt und verschwand in einer Zimme recke. Eine kleine Fontäne schoss hervor und legte sich auf den Teppich zu ihren Füßen, bevor sie die Mündung der Flasche über ihr Glas halten konnte. Sie fing jetzt an mit diesem Abend. Wenn Sabrina noch kam, würde sie ihr Gesellschaft leisten dürfen. Mehr konnte sie nicht erwarten. Sie war kein ausgehungertes Häschen, das sich nach ein wenig Zuwendung streckte.
    Schön, wie das im Glas perlte! Prickeln im Rachen, kühles Rinnen in der Speiseröhre, ein leiser Aufruhr im Magen. Und ein langsames Erwachen von schlafenden Geist ern, die bis vor kurzem noch missmutig irgendwelche dunklen, verborgenen Nischen in ihrem Innern bevölkert hatten. Wie schön! Asche im Aschenbecher – na und? Ein nierenförmiger Fleck auf der Tischdecke, dort, wo ihr Glas gestanden hatte, als es überkochte. Diese Flasche war für sie – es gab ja noch eine zweite. Plötzlich war es ihr Abend. Wie gut das tat! Hoffentlich kam sie nicht mehr! Noch ein Glas, noch eine Zigarette.
    Sie hatte noch nie so viel Aufwand betrieben, wenn sie einen Mann erwartete. Auch bei Tom nicht. Wozu diese Stilisierung? Und warum für Sabrina? Tom war geradezu achtungsvoll vor ihr in die Knie gegangen und hatte sie aufmerksam angesehen, als sie auf der Toilette saß und pinkelte. Er würde jetzt für sie die Steaks braten und noch einen Salat anrichten, den er frisch vom Markt mitgebracht hatte, und dabei plaudernd zwischen Küche und Wohnzimmer wechseln. Er war so – aufmerksam, liebevoll, interessiert, aktiv. Bis auf dieses eine Mal! Komisch. Was da wohl in ihm vorgegangen war?
    Neun Uhr. Keine Sabrina, kein Anruf. Und wenn ihr etwas Ähnliches passiert war? Es war ja nicht immer ein Schutzengel in der Nähe. Diese drei Halunken – nein, zwei konnten es nur noch sein, wenn sie sich nicht Verstärkung geholt hatten. Jedenfalls waren die noch irgendwo da draußen. Allerdings hatte der Messerheld ziemlich schlimm ausgesehen, als er wegrannte. Eine böse Platzwunde, die ihm eine weitere schöne Narbe bescheren würde, wenn er sie nicht fachmännisch behandeln ließ. Andererseits sah Sabrina so aus, als könnte sie sich selbst helfen. Sie war der selbstbewusste Typ, der mit einem Knie großen Schaden anrichten konnte. Außerdem hatte sie bestimmt ein Pfefferspray in einer leicht zugänglichen Tasche.
    Ob die Jungs an so einer überhaupt interessiert waren? Flac h, jungenhaft, arrogant. Sie wussten ja nichts von den Geheimnissen, der verborgenen Schönheit, die auch dieser Körper zu bieten hatte. Die kleinen, mädchenhaften Brüste, die nie hängen würden; der muskulöse, schmale Po, der mangels Fettgewebe das Phänomen Zellulitis nicht in hundert Jahren kennenlernen würde. So eine Konstitution hatte durchaus ihre Vorteile. Man konnte seine Waren

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