Variationen zu Emily
Tag einzustellen und auszuruhen. Um wieder für die Kinder dazusein. Das wollte er wohl einfach nicht begreifen. Er wollte mehr von mir, sagte sie. Von mir! Warum bloß? Ich bin doch wirklich nichts Besonderes. Als sie dann den Hund aus dem Tierheim holte, weil sie irgendwo gelesen hatte, dass es für Kinder gut ist, mit einem Tier aufzuwachsen, zog er aus und ließ sich schließlich scheiden. Seitdem versorgt er die Familie aus der Ferne mit Geld.
Du wirst sagen: Was wolltest du mit so einer Frau? Nun, zum einen war sie ein kleines Wunder: Schönheit, Anmut und Offenheit. Und dann erwachte bei mir so etwas wie männlicher Ehrgeiz: Ich wollte sie haben, und ich wollte ihre Gefühle wecke n. Ich konnte nicht glauben, dass in so einem Körper nicht auch Begierde steckte. Recht früh brachte ich sie zurück. An ihrer Haustür legte sie ihren Arm um meinen Hals, zog mich herab und küsste mich leicht auf den Mund. Dann sagte sie: Danke, dass du mir zugehört hast. Du bist ein sehr netter Mann. Sie schloss die Tür auf, lächelte mir noch kurz zu und verschwand. Ich stand vor dieser Tür, die Treppenbeleuchtung erlosch, und ich lächelte immer noch zurück. Dann ging ich hierher und trank ein paar Bier, bis geschlossen wurde. Auf einen Bierdeckel kritzelte ich: Und Du bist etwas Besonderes!, schmierte ein Initial darunter und ging zu ihrem Haus zurück, um ihn in ihren Briefkasten zu werfen. Ich hatte ihn schon bis an den Schlitz gehoben, da zog ich ihn zurück und schrieb als Postscriptum noch dazu: Wir sehen uns wieder! Dann warf ich ihn ein und ging beschwingt oder eher ziemlich betrunken nach Hause.
Sie rief am nächsten Abend an und erzählte mir, jetzt schon die Namen ihrer Kinder nennend, dass sie sie schlafend vorgefunden hatte, ihre Schwiegereltern ein wenig eklig gewesen wären und sie ganz entgegen ihrer Gewohnheit noch ein Glas Wein getrunken hätte. Und da ihr die Stille nach diesem angeregten Abend auf die Nerven gegangen wäre, hätte sie noch Van Morrison – ich weiß sogar noch den Titel: TB Sheets – aufgelegt. Sie fand, dass ich ein außergewöhnlicher Mann war! Es wäre so schön gewesen. Und sie entschuldigte sich für ihre Monologe. Wenn wir uns wiedersehen, musst du mir mehr von dir erzählen, sagte sie. Ich will alles wissen, wirklich alles. Wann, fragte ich, ganz atemlos und kribbelig nach so viel positiver Bewertung. Nun, sie würde jetzt erst mal für zwei Wochen verreisen, zu Freunden, die in der Bretagne ein Haus gemietet hatten. Danach – vielleicht wieder der Mittwoch nach ihrer Rückkehr?
Immer wieder dasselbe. Du bist hin und weg, bist übermäßig verliebt in ein Geschöpf, das du bislang nur zweimal ges ehen hast und das sich trotz Kuss auf den Mund als ein undurchschaubares Rätsel darstellt. Und dann sollst du fast zwanzig Tage warten! Immer dieses Warten. Ich konnte das entsetzte Was? gerade noch unterdrücken, schluckte und sagte so gelassen wie möglich: Ja, das wird gehen. Soll ich dich wieder abholen? Ja, das wäre fein. Ich werde in der Bretagne an dich denken. Na toll!
Ich bekam sie nicht mehr aus meinem Kopf heraus und wusste nichts mit mir anzufangen. Das Leben erschien so langweilig ohne eine Vorstellung davon, was sie in Frankreich tat oder auch nicht tat. Ich malte es mir aus, es traten die üblichen Eifersuchtsgespenster auf, und ich wurde langsam zum Abhängigen. Ich aß kaum mehr, meine Arbeit schluderte ich hin, ich ging nicht mehr aus, meinen Freundeskreis fand ich zum Kotzen öde. Nun, die Zeit verging, und eines Tages fühlte ich: Sie ist wieder da. Ich machte einen langen Spaziergang zu ihrem Haus und fand das Gefühl bestätigt: In allen Fenstern ihrer Wohnung brannte Licht. Voller Vorfreude kehrte ich in einer Pizzeria ein, aß und trank wie ein leerer Müllschlucker und ging nach Hause. Sie würde auf meinem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen haben. Sie würde mich bald sehen wollen. Sie vermisste mich. Falsch! Kein Anruf, keine Karte, kein Briefchen.
Auch am nächsten Tag kein Lebenszeichen. Auch am Tag danach nicht. Scheiße, dachte ich, was ist passiert in der Bretagne? Ihr Mann ist wieder aufgetaucht. Ein Kind ist ernstlich erkrankt. Der Hund muss mit plötzlich aufgetretenem Bluthochdruck in die Klinik. Ich hatte den Hörer schon in der Hand, um nachzufragen. Doch dann dachte ich: Mach dich nicht zum Narren. Wir hatten den Mittwoch verabredet. Also hatte sie noch zwei Tage.
Eins geht noch, oder? Mann, nimm doch von meinen! Nein? Zu stark?
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