Variationen zu Emily
keine Hoffnung auf ander e Menschen. Es war wie der bewusste Verzicht auf jegliche Schönheit, wie das freiwillige Exil auf einer Müllhalde. So desillusioniert! Warum? Was war ihr angetan worden? Egal! Sabrina führte ihr eigenes Leben und war selbst dafür verantwortlich. Martha wollte daran jedenfalls nicht teilhaben. Sie wollte auch die Museen dieser Welt sehen!
Sie räumte geistesabwesend ihre Küche auf und ließ ihre Hände die gewohnten Bewegungen vollführen, während ihr Fetzen des sarkastischen Monologs durch den Kopf gingen. Sie hatte so scharf und böse gesprochen, aber gleichzeitig ihre Brüste angeboten. Spülmaschine einräumen, Töpfe und Pfanne mit der Hand spülen, Aschenbecher leeren, mit einem feuchten Lappen Arbeitsplatten und Tisch abwischen. Seltsam! Sie bat um die einzige ihr bekannte Art der Zuneigung und machte mit ihren Worten gleichzeitig ihre rührende Geste verächtlich. Bedrohlich und verletzlich zur gleichen Zeit.
Jetzt, nachdem nichts mehr von den Vorbereitungen und Erwartungen für diesen gemeinsamen Abend zeugte, fühlte sie, dass trotz ihrer Verärgerung ein unwillkommenes Mitleid und - ja, auch Lust sich bemerkbar machte. Ihre nackten Brüste und ihre unverblümte Aufforderung! Sie schaltete den Fernseher an, legte die Beine hoch und sah eine Weile einem Fußballspiel zu. Es war wohl der Champagner, der die auf dem Feld herumlungernden und hastenden Spieler zu farbigen Klecksen auf einer grünen Leinwand gerinnen ließ. So ein Bild hing bei den beiden schwulen Engländern, die Tom immer mit Getränken aushalfen. Flowers of Evil hieß das und war von einem Mann mit dem infantilen Künstlernamen Cruise Missile. Tom hatte lachen müssen, weil die naive Malerei so gar nichts Böses an sich hatte. Außerdem, so hatte er ihr anvertraut, erschien ihm der Titel etwas anmaßend, da ein französischer Dichter aus dem neunzehnten Jahrhundert eine Gedichtsammlung so genannt hatte. Wer war das noch gewesen? In Literatur war sie nicht besonders gut.
Später, als sie wieder bei ihm in der Wohnung waren, hatte er eine Platte mit dröhnendem Rock aufgelegt und bei den Klängen einer offen sichtlich mit der Kettensäge misshandelten elektrischen Gitarre gesagt: „Das sind auch Blumen des Bösen, transportiert über ein anderes Medium. Es sind Amerikaner. Na?“ Er hatte ihr manchmal diese harmlosen, kleinen Rätsel aufgegeben, die zu lösen sie sich aber selten die Mühe machte. Er bestand auch nie darauf, sondern gab die Lösung lächelnd sofort preis – „Mountain, die Gruppe heißt Mountain“ – und wechselte das Thema. Er war wirklich ein netter Mann gewesen. Viele angenehme Seiten. Selbst sein Bauch. Und während im Fernseher ein lispelnder Reporter die Kommentare schwitzender Spieler einzufangen und mit Sinn anzureichern suchte, schlief sie ein.
20. BEKANNTSCHAFT
Zu früh ... ich will nicht wieder allein zu Hause sein ... Abend für Abend ... und der Club widert mich an ... die ganzen alten Geier ... manche mit ihren aufgedunsenen Frauen ... hoffen auf eine exquisite Mischung ... aus ranzigem Fett und frischem Fleisch ... nein danke ... aber das wird sie büßen ... mich einfach rauszuschmeißen ... morgen in der Praxis ... wenn sie überhaupt kommt ... traut sich wahrscheinlich nicht ... meldet sich sicher krank ... war aber doch zu früh ... sie war noch nicht reif ... zu romantisch ... scheiße ... eigentlich fand ich sie süß so ... gibt sich viel Mühe ... Kerzen, Essen und Champagner ... hat bestimmt vorher gebadet ... ein leckeres Mädchen ... ob ich? ... nein, raus ist raus ... sie hat so lange nichts gesagt ... und ich bin einfach wieder in mein übliches Fahrwasser geraten ... Nihilismus oder so ... Frank wüsste den Namen dafür ... und was sollte ich da noch tun ... immerhin habe ich mich angeboten ... sie hätte mich nur anzufassen brauchen .... na gut, ich war etwas zynisch ... aber das kennt sie doch an mir ... scheiße ... ich gehe einfach noch aus ... unter Leute ... ich brauche das jetzt ... Gespräche um mich herum ... nichtssagend, ablenkend ... irgendeine Kneipe in der Nähe ... scheißkalt ist das ... es wird wohl wieder Winter ... eigentlich ist immer Winter ... immer dunkel, immer kalt ... und Weihnachten vor der Tür ... und die ewig gleiche Frage ... was mache ich dieses Jahr ... wieder allein zu Hause ... die Welt aussperren ... Musik in Triebwerklautstärke ... oder zu den Eltern ... nein, das nun doch nicht ... so weit bin ich noch
Weitere Kostenlose Bücher