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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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langweilig und spießig, dass ich gähnen muss. Warum lernst du nichts, warum bleibst du bei den Statisten? Du willst mit mir ins Bett? In Ordnung. Aber dann treib doch nicht diesen Aufwand. Den braucht es nicht dazu. Du hast Lust auf mich? Warum läufst du dann nicht nackt herum, fasst mich überall an und schleppst mich ab? Wozu die Kerzen, der Sekt, das Essen für zwei, wenn du mit mir schlafen willst? Komm her zu mir, ich weiß doch, was du brauchst.“ Martha rührte sich nicht. Sabrina lächelte wieder, grimmig. „Du bist romantisch, das ist es, oder? Du willst nicht kommen ohne die Vorspeise, die bei dir Liebe heißt. Dabei geht es letztlich doch nur um eine Form subtiler Folter. Ich habe dir gezeigt, dass es noch andere Arten gibt, außer Atem zu kommen. Und das war nur der Anfang des Films. Es gibt Dinge, von denen du im Moment noch nicht einmal zu träumen wagst – wahre Trips, Räusche der Lust, die süchtig, aber auch frei machen.“
    Sie zog sich eine Zigarette aus der Brusttasche ihres karierten Herrenhemdes, zündete sie an und schickte einen grauen Rauchschwall durch den Raum. Martha wandte ihr wieder den Rücken zu, schwitzte jetzt aber. Die Steaks begannen sich zu winden, die Bohnen schrumpelten. Sie wagte nicht, sich umzudrehen und sich diesem höhnischen Gewitter zu stellen. „Außerdem willst du ja eigentlich gar nicht mich!“ Sabrina lachte. „Du denkst ja immer noch an einen Mann. Einen Mann! Aber wa s willst du mit den Männern? Lass sie an deiner Muschi riechen, solange du jung bist, und sie bringen die halbe Weltbevölkerung um! Was glaubst du denn, was Hitler, Stalin und all die anderen großen Schlächter der Geschichte antrieb? Ihre monströse, verklemmte Sexualität, die sie sich selbst nicht einzugestehen wagten und daher auch niemals ausleben konnten. Möse, Schwanz. Titten, Arsch. Kleine Jungen, kleine Mädchen. Transvestiten, Tiere, Blut, Urin. Hätte man sie zu sich selbst kommen lassen, ihnen ihre Bühne gegönnt, diesen kleinen, armen Männlein mit ihren lächerlichen Bärten: Sie hätten ihre perverse Kraft nicht in maßlosem Blutvergießen vergeudet.“
    Sie zog unvermittelt ihr Hemd über den Kopf und hob mit beiden Händen ihre kleinen Brüste an: „Hier! Du kannst auch alles andere haben. Vergiss die Männer – sie sind manchmal eine nette Zutat, wenn innen was fehlt. Oder wenn es zu zweit langweilig wird. Aber vergiss nie: Sie sind die kranke Hälfte der Menschheit. Und ihre Krankheit ist verdammt ansteckend.“ Martha schaltete den Herd aus. Sie ging an den Kühlschrank, griff nach der zweiten Flasche Champagner – und zog die Hand zurück. Das leise Ansaugen der sich schließenden Tür. Dann sagte sie ruhig: „Du weißt ja, wo die Tür ist. Scher dich zum Teufel, Sabrina. Du bist nicht mehr ganz in der Spur. Und ich glaube, du weißt das. Raus mit dir!“ Sabrinas Lächeln schmolz und verlief sich in den scharfen Falten neben ihrem Mund. In ihren Augen erschien ein Erschrecken, das sie aber gleich wieder hinter ihren Lidern verbarg. Sie stand wortlos auf, zog ihr Hemd an, stellte vorsichtig den Stuhl an den Küchentisch zurück und ging. Die Tür fiel ins Schloss.
    War sie tatsächlich gegangen? Martha wartete lange Minuten. Dann wanderte sie einmal durch die kleine Wohnung, schaute unter das Bett und in den Schrank. Es wa r zwar nicht wahrscheinlich, dass Sabrina nach einem solchen Affront ein Versteckspiel aufführte. Dazu war sie zu stolz. Aber Martha wollte ganz sichergehen, um nicht unversehens wieder mit dem höhnischen Lächeln konfrontiert zu werden. Sie wollte sie nie wieder sehen, diese Grimasse, hinter der sich wahrscheinlich nur Leere und eine heillose Selbstverachtung verbarg.
    Sie aß die Steaks, die Bohnen. Sie löffelte das Mousse direkt aus der Schüssel. Sie öffnete die zweite Flasche Champagner, trank nacheinander schnell zwei Gläser und rauchte mehrere Zigaretten. Wieder einmal waren Unsinn und Wahrheit einander sehr nahe gewesen – wie bei den Verwandten in den Vogesen. Und wieder war es schwer gewesen, sich für ein klares Ja oder Nein zu entscheiden. Aber sie hatte sich entscheiden müssen, denn dazwischen gab es nichts. Sabrinas Sichtweise widerte sie an. Das hatte wohl auch den Ausschlag gegeben: diese Brutalität, diese Schamlosigkeit, diese Reduzierung menschlichen Lebens auf den Sex. Wie Doktor Kinsey. Keine Ahnung von der Seele. Diese Frau war mit Sicherheit nicht glücklich. Da war kein Vertrauen, keine Zuneigung, kein Humor und

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