Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
Vom Netzwerk:
verneigten sich vor ihm, einige schritten rückwärts bis zum Zelteingang, andere wandten sich dort nochmals zu einem letzten Gruß um. Schließlich war Annius mit dem Statthalter und seinem Leibsklaven allein. Die übrigen Diener hatte Varus mit einem Wink - »Sie haben nur das Leben« - weggeschickt. Er schob Annius vor sich her in den abgetrennten Teil des Zeltes, und erst als er sich an eine der Klinen lehnte, die unter seinem Gewicht kippelte, glitt seine Hand endlich von Annius’ Schulter. Den Leibsklaven hieß er, Wein aus dem bereitstehenden Krug einzuschenken, reinen Wein, dann deutete er auf eine Truhe, auf der, halb in festes Tuch gewickelt, jener prächtige Dolch lag, den Varus nicht mit in die letzte Schlacht genommen hatte. »Bring mir das, Soldat!«

    Annius zögerte.
    »Muss es gerade diese Klinge sein, Herr?«
    »Nenn mich nicht Herr, Titus Annius - das war doch dein Name, oder nicht?«, und als Annius unsicher nickte, fuhr er fort: »Keine andere Waffe als diese ist die richtige. Sie ist wie eine Allegorie des Verrats, den dieser Mann verübte, und der Leichtgläubigkeit eines alten Mannes, der ihm auf den Leim ging.« Zögernd ergriff er die Waffe.
    »Ein prachtvolles Stück«, murmelte er. »Damit einem solch ein Beutestück verliehen wird, muss man Großes vollbringen. Und Arminius hat im Illyricum Großes vollbracht. Ich verstehe ihn nicht …« Kopfschüttelnd verstummte er, legte den Dolch zurück auf die Kline und nahm einen Kelch aus der Hand des Sklaven, der Annius einen zweiten reichte.
    Es war ein schwerer, süßer Wein, schon mit dem nächsten Schluck fühlte Annius sich ein wenig benebelt. Varus schmunzelte, als hätte er das bemerkt, und schickte den Sklaven weg, der nach einigen tiefen Verbeugungen den abgetrennten Teil des Zeltes verließ. Ein schleifendes Geräusch verriet, dass er hinaushastete. Flüchtete. Annius schrak bei dieser Erkenntnis zusammen.
    »Ich habe ihm zu verstehen gegeben, dass er sich aus dem Staub machen soll. Und du wirst das auch tun, sobald ich getan habe, was zu tun ist. Das wird mein letzter Befehl an dich sein, Titus Annius.«
    Der Statthalter schob die Hände zusammen, zerrte und drehte ungeduldig an seinem Siegelring, bis sich das Kleinod abziehen ließ, das er neben den prunkvollen Dolch legte. Er griff in eine Tasche, die ebenfalls auf der Truhe lag, und zog ein verschnürtes Bündel dünner, kleiner Wachstafeln hervor. »Dies ist ein Brief an meine Frau. Ich schrieb ihn heute vor
der Schlacht für den Fall …« Varus biss sich auf die Unterlippe, ließ die Tafeln ebenfalls auf die Kline fallen, öffnete dann die Schnalle seines Gürtels und breitete Gürtel und Schwert neben den Tafeln aus. »Mein Schwert und mein Ring sollen ebenfalls nach Vetera gebracht werden. Mein Leichnam hingegen bleibt hier, und niemand von euch wird ihn anrühren - hast du mich verstanden?«
    »Aber wenn die Barbaren -«
    »Ich will, dass sie mich finden! Ich will, dass sie triumphieren und darüber die Soldaten vergessen, damit diese fliehen können! Vergiss alles, was man über Totengeister erzählt! Die Leben, die dieses Gemetzel bereits gekostet hat, sind durch meine Leichtgläubigkeit und Blindheit verschuldet - und wenn es ein Gericht nach dem Tode gibt, werde ich lange ruhelos büßen müssen, ganz gleich, ob mein Leichnam bestattet wird oder nicht! Und wenn nicht …« Er zuckte die Achseln. »Nun, dann halte ich es mit Epicurus und fürchte den Tod nicht, denn solange ich lebe, ist der Tod nicht hier, und wenn der Tod da ist, dann bin ich nicht mehr hier. Und jetzt hilf mir, Titus Annius, wir haben nicht viel Zeit! Sag mir, was ich tun muss.«
    Varus zog den Dolch aus der Scheide. Sofort stieg Annius ein Kloß in die Kehle, und sein Magen verwandelte sich in einen harten, kalten Klumpen. Er räusperte sich, um sprechen zu können, richtete seine Gedanken auf das, was er bei zahllosen Fechtübungen und während der Stunden, in denen er darüber belehrt worden war, wie er verletzte Kameraden behandeln konnte, gelernt hatte.
    »Knie dich hin, setz den Dolch unter dem Rippenbogen an - hier.« Er deutete auf eine Stelle ein wenig links von der Spitze des Rippenbogens, ein Stück unter dem Herzen. »Stoße die Spitze hinein, aufwärts unter die Rippen. Dann
wirst du das Herz treffen. Aber du musst schnell und hart zustoßen.«
    Varus nickte, während er schweigend die glänzende, schön gearbeitete Waffe betrachtete, ein feines Lächeln um die Lippen, das die harten

Weitere Kostenlose Bücher