Varus - Historischer Roman
ein Mann meines Alters nicht mehr in die Schlacht ziehen sollte!«, entgegnete Varus auf das Gemurmel des Medicus. »Aber sag mir, wäre es anständig von mir gewesen, die Männer in den Kampf zu schicken und wie ein furchtsamer Greis hier auf ihre Rückkehr zu warten? Die Annalen unseres Volkes sind voll von alten Männern, die im Senat ihre Debatten führen, während draußen im Feld die jungen erschlagen werden.« Er schob den Medicus weg. »Mir fehlt nichts. Das sind nur ein paar Kratzer. Kümmere dich um die anderen!«
Der Statthalter sah zerzaust aus, die Falten in seinem Gesicht waren schärfer und tiefer als je zuvor, die Augen dunkel und matt. Sein Blick wanderte von einem zum anderen, bis Annius, der am Zelteingang verharrte, ihn auf sich spürte. Heiß stieg ihm das Blut in die Wangen vor Scham, nicht mit den anderen gekämpft zu haben, als die Legionen in Bedrängnis geraten waren. Varus hob die Hand und winkte ihn zu sich. Zögernd folgte Annius dem Befehl, er wollte sich keine Blöße geben, obwohl er bei jedem Schritt vor Schmerz einzuknicken drohte. Angespannt ging er an den Praetorianern und Offizieren vorbei, bis er schließlich vor dem Statthalter stand, der ihn wortlos musterte.
»Seht her!«, begann Varus leise. »Ich habe diesem Mann,
einem Soldaten, einem Stabsgefreiten, der der kämpfenden Truppe zugeteilt wurde und sich in einem Gefecht verletzte, Schmach zugefügt, indem ich ihm untersagte, an dieser Schlacht teilzunehmen, weil er verwundet ist. Ich dachte, er könne mir als Bewacher meines Gefangenen bessere Dienste leisten. Aber ich habe ihm damit keinen guten Dienst erwiesen, denn manchmal ist Schonung schlimmer als der Tod.«
Er fuhr sich durch die wirr vom Kopf abstehenden, kurzen grauen Haare, als jemand ins Zelt stürmte und sich durch die Reihen drängte, Lagerpraefect Ceionius, gefolgt von zwei Soldaten, die am Eingang zurückblieben.
»Sie schlachten die Männer einfach ab!«, rief er. »Und die Offiziere versuchen sie lebend zu fangen!«
Schlagartig kehrte Stille ein, und alle Augen richteten sich auf Ceionius, der in seinem schmierigen Panzer und dem verdreckten, abgerissenen Waffenrock unter ihnen stand, schwer atmend und sichtlich völlig erschöpft.
»Wir können sie nicht länger abwehren«, fuhr er fort. »Sie sind dabei, ins Lager einzudringen. Wir können keine Ordnung mehr aufrechterhalten angesichts der Gräuel, die die Soldaten schon mit ansehen mussten. Ich … Ich habe so etwas noch nie erlebt …«
»Sie werden alle töten, deren sie habhaft werden können«, erhob sich eine dünne Stimme vom anderen Ende des Zeltes. »Sie werden die Köpfe zusammentragen und diese Orte zu heiligen Hainen erklären. Und die Offiziere werden sie opfern, einen nach dem anderen, ohne Ausnahme, wie sie es gelobt haben.«
»Was sagst du da?«, fragte Varus, ohne sich umzudrehen.
Annius spürte den Schrecken, als rieselte eiskaltes Wasser seinen Nacken hinab. Er straffte sich, reckte das Kinn und atmete tief durch, als ihn jäh die Erinnerung an Caldus überfiel,
an dessen junges, lächelndes Gesicht, und die Schuld, ihn nicht gerettet zu haben, an seiner Stelle davongekommen zu sein, nagte in seiner Brust.
Einer der Praetorianer packte den Gefangenen, riss ihn auf die Füße, ein anderer löste die Fesseln, dann schleppten sie ihn vor Varus, der ihn scharf ins Auge fasste und seine Frage wiederholte. Der junge Barbar, der nun dicht neben Annius stand, blickte zu Boden und presste die Lippen aufeinander.
»Ist das die Nachricht, die du mir eigentlich hättest überbringen müssen?«, setzte Varus nach.
Der Barbar bewegte langsam den Kopf von einer Seite zur anderen, schwieg jedoch.
»Wozu heben wir den Kerl eigentlich auf?«, warf Ceionius ein. »Wäre es nicht besser, ihn in seine Einzelteile zu zerlegen und über den Wall zu schießen, wie seine Leute es mit unseren Männern gemacht haben?«
»Er ist ein Bote, Sextus Ceionius«, entgegnete Varus, »und Boten stehen unter dem Schutz der Götter.«
»Ich frage mich, ob die Wilden dieses Gebot auch beachtet haben, wenn sie unseren Boten begegnet sind.«
»Das gibt uns nicht das Recht, dieses Gebot zu brechen.« Mit einem strengen Blick brachte Varus den Lagerpraefecten zum Schweigen, ehe er sich wieder dem Gefangenen zuwandte. »Sprich!«
Während draußen Schreie ertönten, Menschen durcheinanderrannten, verharrte der junge Barbar in Schweigen.
»Wir müssen etwas tun!«, zischte einer der ritterlichen Tribunen, doch
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