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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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Falten milderte.
    »Soll ich es für dich tun?«, fragte Annius leise.
    »Du meinst, weil du gelernt hast zu töten?« Der Statthalter blickte ihn aus müden und umschatteten Augen an, die Annius nie so dunkel erschienen waren wie jetzt. »Ich hoffe, meine Kraft reicht …«
    Varus zerrte den schweren Waffenrock über den Kopf und sank auf die Knie, nur mit einer dünnen weißen Tunica voller Schweißflecken bekleidet. Mit beiden Händen tastete er an seinem Rippenbogen entlang, ehe er die Linke nach der Waffe ausstreckte. Zögernd trat Annius zur Kline, nahm die reich geschmückte Scheide des Dolches und hielt Varus die Waffe so hin, dass dieser das Heft umfassen und die Klinge herausziehen konnte. Dann hob er den Blick und schaute Annius an. Düster, entschlossen.
    »Wirst du mir helfen? Nur für den Fall, dass meine Kraft versagt.«
    Annius schluckte schwer, ehe er nickte. Hinter dem Statthalter kniete er auf dem Boden nieder, auch wenn ein scharfer Schmerz von seinem Knie bis in den Unterleib schoss. So dicht befand er sich bei Varus, dass er den Schweiß des Kampfes, das Blut der Wunden, die der Statthalter davongetragen hatte, roch und den mageren Körper des alten Mannes ebenso spüren konnte wie sein eigenes Zittern. Benommen legte er die Arme um den Statthalter und umfasste dessen Hände, die das Heft des Dolches umklammerten.
    Ein rascher Blick über Varus’ Schulter zeigte ihm, dass die
Spitze der glänzenden Klinge sich genau an der Stelle in die Tunica bohrte, die er ihm gezeigt hatte.
    »Danke, mein Sohn, und lebe wohl«, stieß Varus heiser hervor. »Mögen die Mächte der Unterwelt und die Himmlischen mir gnädig sein.«
    Es gab einen Ruck, einen schnellen Stoß, dann ergoss sich ein warmer Schwall über Annius’ Hände, und der Geruch frischen Blutes stieg ihm in die Nase, dass sein Magen sich zusammenkrampfte. Er hielt den Mann fest, der in seinen Armen nach Luft rang, jede Faser des alten Körpers angespannt. Die Wellen, in denen das warme, klebrige Blut aus ihm strömte, verebbten, bis er mit einem rauen Ächzen erschlaffte.
    Vorsichtig tastete Annius nach Varus’ Hals, suchte nach einem Puls, spürte die Haut papieren und kühl unter den nassen Fingerspitzen. Er lehnte sich zurück, bettete den Leichnam behutsam auf den Boden und wischte die Linke an seinem Waffenrock ab, bevor er ihm die lichtlos zur Decke starrenden Augen schloss.
    Die Klinge steckte zur Hälfte in der Wunde, die Hände des Toten umkrampften noch immer das Heft, als Annius sich von den Knien erheben wollte. Er schielte nach dem Ring, der neben Varus’ Gürtel und Schwertgurt auf der Kline lag. Annius versuchte seiner Gedanken Herr zu werden, die ihn wie aufgescheuchte Vögel zu umflattern schienen. Ring, Brief und Schwert sollte er nach Vetera bringen. Ohne darüber nachzudenken, löste er die Finger des Toten vom Dolch, zog die Klinge aus der Wunde, wobei ein letzter Schwall Blut hervorspritzte. Mit der blutigen Waffe in der Hand sprang er auf, humpelte zur Kline und nahm das Schwert, das er dem Toten in die Hände legte. Mochte die Klinge auch sauber sein, Annius ertrug die Vorstellung nicht, dass der Verräter
durch die Wahl der Waffe doppelt über sein Opfer triumphieren würde.
    Erst jetzt merkte er, dass ihm Tränen über das Gesicht strömten und seinen Blick trübten. Er würgte an einem Schluchzen, während er den blutdurchtränkten Waffenrock und die ebenfalls feuchte Tunica aufrollte, um den dünnen Riemen zu lösen, der seinen Schurz hielt. Auf diesen Riemen fädelte er den Ring, bevor er beide Enden wieder verknotete. Dort würden die plündernden Wilden vielleicht nicht suchen, falls sie ihn ergriffen. Hastig wischte er den Dolch am Polster der Kline blank und steckte ihn in die Scheide, die er in seinen Gürtel schob. Den Brief stopfte er sich unter den Panzer.
    Es war Zeit zu gehen, doch etwas hielt ihn zurück. Er schaute den Toten an, zu gern hätte er die Kandelaber umgestoßen, das Zelt in Brand gesteckt, um ihn vor den Händen der Feinde zu retten, ihn wenigstens notdürftig zu bestatten und die Totengeister zu besänftigen. Doch er hatte geschworen, nichts dergleichen zu tun. Er sollte einfach gehen und die Leiche ihrem Schicksal überlassen. So viele Kameraden um sich scharen, wie er konnte, um den Fängen der rasenden Barbaren zu entkommen und Varus’ letzten Befehl auszuführen.
    Langsam bewegte er sich rückwärts zum Vorhang, der das Zelt teilte, verneigte sich nochmals und lief dann hinaus in

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