Varus - Historischer Roman
Varus hob nur gebieterisch die Hand, ohne den Blick von seinem Gefangenen zu wenden, der endlich den Kopf hob und ihn wie schlafwandelnd anschaute.
»Wenn ein Heer eine schwere Schlacht zu bestehen hat
und sich der Macht eines Gottes versichern will, die ihm zum Sieg verhelfen kann, dann verbindet es sich mit diesem Gott. Aber dieser Gott ist ein rasender Gott, ein gefährlicher, blutrünstiger Lenker der Schlachten, der Führer einer Schar schrecklicher Geister, Krieger, die im Kampf gefallen sind. Dieser Gott verlangt das Blut der Gegner für seine Hilfe, denn dieses vergossene Blut nährt ihn und macht ihn und seine Schar stark und wild, sodass auch das Heer stark und wild und damit siegreich wird.«
Im Zelt schien es kalt und dunkel zu werden, die Flämmchen der Öllampen an den Kandelabern flackerten. Annius spürte sein Herz pochen, der Schienenpanzer schien ihn immer enger einzuschnüren.
»Einen nach dem anderen ohne Ausnahme«, murmelte Varus, dann räusperte er sich. »Dass wir die Schlacht verloren haben, kann ich nicht bestreiten - deshalb sollten wir Boten schicken, um über eine … Anerkennung der Niederlage und freien Abzug zu verhandeln.«
Der Gefangene schüttelte den Kopf, blickte wieder zu Boden. »Das wird niemanden retten.«
Der Lärm nahm zu, ein Soldat stolperte herein, der sich den rechten Arm hielt, das blanke, blutige Schwert in der Hand.
»Sie drängen rein!«, keuchte er. »Wir versuchen, sie vom Kern des Lagers fernzuhalten, aber die Reihen sind dünn …«
Seine Worte erstarben in Unruhe, die Offiziere griffen nach ihren Schwertern, die Praetorianer bauten sich in der Nähe des Zelteingangs auf, der junge Gefangene wurde beiseitegestoßen. Der Statthalter rückte seinen Waffenrock zurecht.
»Dann gehen wir jetzt da hinaus und werfen uns mit allen Kräften, die uns verblieben sind, auf den Feind«, rief er.
»Und wenn wir sie nicht zurückschlagen können, werden wir wenigstens in den Stiefeln sterben!«
Er streckte die Arme aus, damit die beiden Praetorianer, die bei ihm standen, ihm den Panzer wieder anlegen konnten, doch kaum hatten diese die Rüstung in die Hände genommen, rappelte sich der Gefangene auf und hob beschwörend die Hände.
»Es wird euch nichts helfen!«, rief er. »Ihr habt es doch gehört: Eure Soldaten töten sie auf der Stelle, die Offiziere fangen sie wie Tiere - Opfertiere!«
Schlagartig hielten alle inne, es wurde still.
»Ihr werdet keine Gelegenheit bekommen, im Kampf zu fallen«, setzte der Gefangene nach. »Sie werden es zu verhindern wissen.«
»Und dieser Wicht will verhindern, dass wir ein Beispiel der Tapferkeit liefern«, blaffte Ceionius und schlug dem Barbaren seine Faust auf den Kopf, dass dieser in die Knie brach und umkippte. Während sich die Offiziere anschickten zu gehen und die beiden Praetorianer bereits die Schnallen an Varus’ Panzer schlossen, rappelte er sich mühsam wieder auf alle viere.
»Wenn die edelsten Opfer tot sind«, keuchte der Gefangene, »bevor die Krieger ihrer habhaft werden, könnten viele eurer Soldaten vielleicht entkommen.«
Die Offiziere blieben stehen.
»Wir sollen uns … ergeben?«, stammelte einer in der Runde. »Um uns von den Wilden …?«
Varus schüttelte den Kopf. »Unter diesen Umständen werden wir uns auf keinen Fall ergeben. Aber wenn weder ein Entkommen möglich ist noch ein ehrenhafter Tod …« Er stand auf und umklammerte Annius’ Arm mit schweißfeuchter Hand, zog ihn näher, um ihn den Offizieren vorzuführen
wie ein Advocatus das Opfer eines Verbrechens den Richtern zeigt, um sie günstig zu stimmen. »Ich befehle euch das nicht, aber ich bitte euch um der Männer willen, die seit Tagen tapfer und gehorsam für uns gekämpft haben, während Tausende ihrer Kameraden erschlagen oder verschleppt wurden. Es gibt keinen ehrenhaften Weg mehr aus dieser Falle, und wer von uns nicht abgeschlachtet werden will wie ein Schwein am Altar, hat nur noch diese Wahl.«
»Aber was machen wir mit dem da?«, blaffte Ceionius, auf den Gefangenen deutend.
»Schafft ihn aus dem Lager - oder hältst du es für ehrenhaft, aus Rachsucht und Zorn einen gefesselten Mann zu töten?«
Varus tätschelte Annius’ Schulter, seine Hand war hart vor Entschlossenheit. Zwei Praetorianern befahl er, die Ketten des Gefangenen zu lösen und ihn hinauszubringen.
»Geht jetzt und tut, was euch richtig dünkt«, sagte er leise zu den Offizieren, ohne seine Hand von Annius’ Schulter zu nehmen. Die Offiziere
Weitere Kostenlose Bücher