Varus - Historischer Roman
auslernen. Er schickte mich über den Sommer auf eines seiner Güter, und als ich zurückkehrte, war sie die Frau eines reichen alten Kerls vom anderen Ende der Stadt.«
»Und dann?«
Annius lachte leise, zuckte dann die Achseln. »Dann habe ich mich mit meinem Vater zerstritten und bin auf und davon zur Legion.«
»Es ist immer dieselbe Geschichte.«
»Bei dir auch?«
»Ich wollte wirklich nur zur Legion«, erwiderte Sabinus. »Meine Leute waren bettelarme Kleinbauern, bis wir schließlich alles verkauften und in die Stadt zogen. In den Kneipen und auf dem Forum hatte mein Vater dann endlich wieder eine Beschäftigung. Meine Mutter schickte mich zu den Anwerbern, damit ich nicht auch so endete.«
»Städter sind selten bei der Legion«, sagte Annius.
»Ja, wir sind schon etwas Besonderes. Aber eigentlich bin ich kein echter Städter, sondern nur zugezogen.«
Sabinus’ trockenes Lachen brach zu einem gequälten Husten, sodass Annius das Maultier zum Stehen brachte und den Freund festhielt, bis dieser sich beruhigte.
»Und jetzt sag mir, woher du den Dolch hast«, krächzte Sabinus.
Verdutzt tat Annius einen Schritt rückwärts, während Sabinus ihn aus fiebrig glänzenden Augen anblickte.
»Du bist kein Plünderer, Titus Annius, und wir beide werden das Geheimnis dieses Schmuckstücks mit in den Tod nehmen - also erzähl’s mir, damit ich ein bisschen Unterhaltung habe.«
Annius nahm die Führungsleine des Maultiers und ging weiter, zunächst schweigend, denn ihm war nicht wohl dabei, seine Erlebnisse im Zelt des Statthalters zu offenbaren. Er wusste auch nicht, wie er beginnen sollte. Varus habe ihn nicht zurück in die Kampflinie gelassen, sagte er schließlich, sondern bei sich behalten und ihm vor der Schlacht am Wall den schmählichen Befehl erteilt, im Lager zu bleiben, um einen Gefangenen, der für Varus wohl eine besondere Bedeutung gehabt habe, zu bewachen. Er schilderte die düstere Beratung nach der Niederlage, bis die Offiziere des Stabes das Zelt verließen, und verstummte.
»Du warst mit ihm allein?«, fragte Sabinus.
Annius blieb stehen und wandte sich ihm zu, hob den Kopf, ohne damit aufzuhören, die Lippen mit den Zähnen zu bearbeiten.
»Du hast ihm … geholfen … sich umzubringen?«
Mürrisch setzte Annius seinen Weg fort. »Er stieß sich das Schwert in die Brust, und dann ging ich.«
Eine Weile sagte keiner von ihnen etwas, obwohl Annius Sabinus’ bohrende Unruhe zu spüren glaubte, als wüsste dieser, dass er gelogen hatte. Sonnenlicht tanzte in den Zweigen,
es ging auf den Abend zu. Annius hielt Ausschau nach einem Unterschlupf, was ihm eine willkommene Ablenkung war, da ihn unaufhörlich die Frage quälte, ob es nicht doch besser gewesen wäre, den Dolch zurückzulassen, wie Varus ihn geheißen hatte. Vielleicht hätte das die Aufständischen und vor allem Arminius bewegt, die Besiegten zu verschonen. Vielleicht wäre Ceionius’ Versuch zu verhandeln dann gelungen.
Als sie eine Lichtung erreichten, zweigte ein kaum erkennbarer Saumpfad ab, verlor sich zwischen hohem Gras. Annius drehte sich um und bemerkte, dass Sabinus schwer atmend im Sattel kauerte, kaum noch bei Bewusstsein. Rasch band er das Maultier an ein Gestrüpp und hastete dem Pfad nach, rannte an einer Schlehenhecke voller blauer, wie mit Staub überzogener Beeren entlang. Am Ende des Weges stand eine Hütte mit steilem, tief herabgezogenem Dach, kaum mehr als ein Zelt, aber ein sicherer Schutz für die Nacht.
Vorsichtig spähte er nach Fußstapfen, gebrochenen Zweigen und niedergetrampeltem Grün, doch außer seinen eigenen Spuren konnte er nichts entdecken. Die Lichtung war spärlich mit jungen Eichen bewachsen, eine Schweineweide. Argwöhnisch sah Annius sich um, aber nichts regte sich. Eine Zuflucht. Zumindest für eine Nacht.
Im matten Licht einiger brennender Späne, die Annius in einen herumliegenden Topf gesteckt hatte, schob er Sabinus’ Waffenrock hoch und löste vorsichtig den Stoff des Hemdes von der nässenden Verletzung. Sabinus, der bäuchlings auf einem zusammengelegten Mantel lag, ächzte leise. In der Zeit, die Annius damit zugebracht hatte, mit einem weiteren irdenen Topf, den er in der Hütte gefunden hatte, sauberes Wasser zu beschaffen, war das Fieber gestiegen. Unter
dem Vordach der Hütte hatte er ein kleines Feuer entfacht und das Wasser abgekocht, zugleich Sabinus geholfen, den Schienenpanzer abzulegen, wobei er feststellen musste, dass die Rüstung das Einzige war, was den
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