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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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hätten. Während sie das Haus suchte, in dem ihr gemeinsam mit Amra und Sura eine Unterkunft zugewiesen worden war, wurde ihr mit jedem Schritt klar, dass diese beiden jetzt ihre Familie waren. Zumindest bis sie in Sicherheit waren.
    Noch ehe sie das Haus erreicht hatte, gellten Alarmsignale über das Lager. Thiudgif blieb mit klopfendem Herzen stehen, beobachtete die Aufstellung der Soldaten, hielt sich die Ohren zu bei dem Donnern Hunderter genagelter Sohlen, dem Befehlsgebell, den hellen Tönen von Tuba und Horn, dem Rasseln der Rüstungen und Waffen. Während die Wehrgänge sich füllten, hastete sie in den Schutz des Hauses, in die halbdunkle Kammer, in der sie Amra und
Sura fand, die Tochter in den Armen ihrer sichtlich entkräfteten Mutter.
    »Wann wird das aufhören?«, klagte Amra.
    »Wenn wir entweder tot sind oder von hier vertrieben«, erwiderte Thiudgif und warf ihren Mantel auf das Bett. Es tat ihr leid, schroffer als beabsichtigt gesprochen zu haben, deshalb setzte sie sich neben Amra und strich ihr über den Rücken. »Wir müssen es aushalten. Die Menschen meines Volkes mussten es über Jahre hinweg aushalten. Seit dem letzten Aufstand sind erst wenige Jahre vergangen. Damals wurde drei Jahre lang gekämpft.«
    »Das weiß ich. Ich wohnte damals mit der Kleinen in Vetera und habe Todesangst um meinen Quintus ausgestanden.« Tränen rollten über Amras Wangen. »Ich weiß nicht, ob er am Leben ist oder tot, ich hoffe so sehr, dass er lebt, aber gerade die Hoffnung quält mich.«
    Wie von einer Nadel gestochen sprang Thiudgif auf, lief unruhig hin und her, während das Knallen der Wurfmaschinen und die gedämpften Stimmen hereinklangen. Das Dorf, in dem sie aufgewachsen war, lag wenige Wegstunden von hier entfernt flussabwärts. Sie kannte die Umgebung, sie hatte Gänse gehütet, später manchmal auch Vieh in den lichten Wäldern. Sie wusste um die Pfade, die die Frauen beim Sammeln von Beeren und Pilzen nutzten.
    Sie blieb stehen. Draußen ertönten helle Schreie, Zorn und Empörung. Aber die Katapulte und Ballisten schwiegen. Es wurde nicht gekämpft.
    Rasch griff sie nach ihrem Umhang und hastete hinaus in die von Fackeln erhellte Nacht. Ein rhythmisches Stampfen und Brüllen ließ die Luft erzittern, die Stimmen Tausender Männer, die Namen riefen, Namen aus ihrem Volk. Sie rannte die Querstraße des Lagers zum rechten Nebentor hinunter,
dem nächsten Aufgang zum Wehrgang. Ihr Puls beschleunigte sich, als sie Stufe um Stufe hinaufeilte, an den Posten vorbei, die hinter ihr her riefen. Als sie einen Soldaten fragte, wo der Lagerpraefect sich aufhielte, schickte dieser sie verdattert weiter in Richtung Haupttor, wo sich die Männer drängten. Eine düstere, bedrückte Stimmung herrschte dort. Sie glaubte Schrecken und Ekel riechen zu können, schob sich vorsichtig an den Soldaten vorbei, die wie gebannt hinaus auf das Feld vor den Gräben starrten. Tausendfach dröhnten von dort Stimmen herauf. Ein junger Kerl mit verstörtem Gesicht schickte sie die Leiter zu einem der Türme am Haupttor hinauf. Während sie flink die Sprossen erklomm, erhaschte sie einen Blick über die Köpfe der Männer hinweg. Ein gewaltiges Heer hatte sich vor dem Lager aufgereiht und erfüllte die weite Lichtung mit tosendem Lärm. Die ersten Reihen hatten ihre Lanzen aufgepflanzt, auf deren Spitzen große Klumpen steckten. Thiudgif erstarrte. Sie führten triumphierend die Köpfe Erschlagener vor.
    Eine Hand schloss sich um ihren Arm, zog sie nach oben, ein Gefreiter, der sie mit einem stummen Wink wegschickte. Doch Thiudgif drängte sich hartnäckig an ihm vorbei zu Lucius Caedicius, der inmitten einiger Offiziere stand. Als sie sich vor ihm aufbaute, wölbte er verdutzt die Brauen.
    »Wenn die Aufständischen ihre Truppen hier zusammenziehen, werdet ihr das Lager nicht mehr halten können«, sagte sie ohne jede Begrüßung, mehr trotzig als mutig. »Und an ihren Drohungen siehst du ja, dass sie genau das vorhaben, dass sie gar nicht angreifen wollen, sondern abwarten und bei passender Gelegenheit die Mauern im Handstreich nehmen.«
    Seine Miene, die noch immer den inneren Aufruhr spiegelte, den der abscheuliche Triumphzug der Barbaren aufgewühlt
hatte, wandelte sich von stirnrunzelnder Missbilligung zu einem leisen Anflug von Anerkennung.
    »Asprenas’ Legionen werden Entsatz bringen«, warf einer der umstehenden Offiziere ein. »Wir müssen uns nur lange genug halten, bis sie hier sind und die Barbaren von hinten

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