Varus - Historischer Roman
beugte sich über das Wasser und netzte sich die Stirn. Obwohl er den Hufschlag hören musste, drehte er sich nicht um.
Annius sprang zu Boden und näherte sich, rief den Freund an, doch erst als er ihm die Hand auf die Schulter legte, schrak Sabinus auf. Sein Gesicht schien zu glühen.
»Tut mir leid«, lallte er. »Ich bin völlig erschöpft.«
Er wollte aufstehen, sackte aber gleich wieder in sich zusammen, und als der dünne Baumstamm zu schwingen begann, wäre er zu Boden gerutscht, hätte Annius ihn nicht aufgefangen. Entschlossen legte Annius sich Sabinus’ Arm um die Schultern und zog ihn mit sich, obwohl Sabinus gepeinigt ächzte. Er lehnte sich an das schnaubende Maultier, presste die Linke an seine Hüfte und atmete stoßweise, Schweiß bildete feine Perlen auf Stirn und Schläfen. Es war die Wunde, die sich Sabinus bei seinem Sturz zugezogen hatte, als sie gerungen hatten. Schuldbewusst erinnerte Annius sich daran, dass Sabinus nur versucht hatte, ihrer beider Leben zu retten. Selbst wenn sie die Mörder von Blaesus und Venicius noch gestellt hätten, wäre nichts dabei gewonnen worden, sie wären ebenfalls erschlagen und beraubt worden - und Varus’ Ring, der Brief, ja sogar der Dolch wären möglicherweise in die Hände der Feinde geraten.
»Darf ich mir das ansehen?«, fragte Annius.
Zögernd nickte Sabinus, doch als Annius seine Hände um dessen Gürtel legte, um die Schnalle zu lösen, zuckte er zusammen und schnappte nach Luft. Behutsam nahm Annius ihm den Gürtel ab, trat hinter ihn und bemerkte, dass die Schnürung des Schienenpanzers teilweise gelockert war, teilweise lose herabhing, soweit Sabinus selbst an die Riemen gelangt war. In seinem Rücken war an der linken Flanke ein älterer Blutfleck zu sehen, und eine faulig riechende Flüssigkeit, deren Farbe sich nicht bestimmen ließ, tränkte den Stoff des verschmutzten Waffenrocks.
»Ich halte es aus, mach dir keine Sorgen«, murmelte Sabinus. »Ich kann laufen.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Annius. »Du nimmst das Maultier, und ich passe auf dich auf.«
Mühsam gelang es Sabinus, mit Annius’ Hilfe auf den Rücken des Maultiers zu klettern. Steif saß er auf dem knochigen Tier, zog die Schultern nach vorn und krampfte die Finger um die Haken des Tragsattels. Aufmunternd tätschelte Annius die Linke seines Freundes und machte sich schweigend von neuem auf den Weg.
»Erzähl mir etwas«, stieß Sabinus nach einer Weile rau hervor.
»Was soll ich schon erzählen?«
»Irgendetwas. Du hast mir nie von deiner Heimat erzählt, von deiner Familie.«
»Du weißt doch längst, dass ich aus Tarraco stamme und mein Vater Weinhändler -«
»Du Narr! Erzählen sollst du, keine Listen führen!« Sabinus hustete vor Anstrengung, und es dauerte eine Weile, bis er wieder ruhig wurde. »Wie sieht es dort aus, in Tarraco?«
Zaudernd nagte Annius an der Unterlippe, während er Schritt für Schritt den eigenen Spuren folgte. Spuren, die allzu offensichtlich waren, die er nicht verwischen konnte, weil es zu viel Zeit kosten würde. Er hoffte darauf, dass es nur wenige Menschen in diese Gegend verschlagen mochte, während er an die allzu ferne Heimat seiner Kindertage dachte, die helle Stadt am Meer. Er versuchte, sich den Hafen vorzustellen, den gemauerten Kai mit den dicken Poldern, die teerschwarzen Bäuche der Schiffe und ihre bunten Segel. Er hörte die zahllosen Stimmen der Sklaven und Tagelöhner, die Rufe der Schiffsmeister und das Plärren der feilschenden Händler. Er war wieder ein Knabe, der den Geruch von Tang und Möwendreck, den spröden Duft der See atmete und das Salz auf der Zunge schmeckte. Er schlich im Halbdunkel seines Vaterhauses herum, vom Vestibulum ins Atrium mit dem Sammelbecken für das Brauchwasser - sein Vater hatte das
Haus nach römischer Art auf den Grundmauern eines früheren Baus errichten lassen -, durch den Flur in den Garten, der nach Rosen und Lorbeer, Minze und anderen Kräutern, die seine Mutter anbaute, duftete. In der Erinnerung blendete ihn schier die Farbenpracht der Wandgemälde, unterbrochen von Vorhängen, die Liegen waren voller Decken und Kissen.
»Warum bist du weggegangen?«, fragte Sabinus.
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Ein Mädchen?«
Als Annius grimmig nickte, ertönte hinter ihm ein angestrengtes Lachen, unterbrochen von Husten. »Wie so viele von uns. War sie wenigstens hübsch?«
»Atemberaubend. Aber mein Vater meinte, ich sei noch zu jung, ich solle erst einmal
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