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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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streckte er die Arme aus und tastete nach dem Gefäß, dessen Schemen er im Dunkeln ahnte. Wie die fleischigen Gesichter der Männer, die ihn verhöhnt hatten. Gesichter mit knolligen Nasen und buschigen Schnauzbärten.
    Caldus hob den schweren Krug an die Lippen, ließ das erfrischende Nass in den Mund rinnen und schluckte. Schluckte damit auch die Bilder hinunter, die aus dem Traum aufgestiegen waren. Seine Amme hätte zu Räucherwerk gegriffen und die guten Geister des Hauses, Laren und Penaten, angefleht, die bösen Kräfte zu vertreiben, in denen sie die Verursacher schlimmer Träume gesehen hatte. Die Amme war inzwischen selbst in die Welt der Geister übergegangen, der sie solch große Bedeutung beigemessen hatte. Er stellte den Krug wieder auf der Truhe ab und kehrte zu seiner Lagerstatt zurück, auf der er sich seufzend ausstreckte.
    Der Schlaf kam nicht zu ihm. Eine Weile blieb er mit geschlossenen Augen liegen, begann seine Atemzüge zu zählen. Schließlich schlug er die Augen auf, starrte blind in die Schwärze, die ihn umgab. Voller Eifer und Entschlossenheit hatte er diesen Dienst im vergangenen Jahr angetreten, um seiner Familie, seinem Vater Ehre zu machen, sich auszuzeichnen. Aber bisher hatte man ihn nur den Legaten oder Lagerpraefecten begleiten und zuschauen lassen, er sollte ausführlich Meldung machen und dazu Berichte verfassen
wie ein Stabsschreiber. Seine Vorschläge schienen ungehört zu verhallen, seine Bedenken wurden beiseitegewischt.
    Unwillig schnaubend rollte Caldus sich auf die andere Seite. Verletzter Stolz und Zorn allein brachten ihn nicht weiter. Er musste sich Gehör verschaffen. Aber wie? Ständig misslang es ihm, weil er irgendetwas falsch machte. So wie bei jener Anklage gegen den Tribun Iulius Arminius, zu deren Anhörung Varus sonderbarerweise ihn hinzugezogen hatte. Welchen Unwillen er mit dem Hinweis auf den von Segestes genannten Zeugen auf sich gezogen hatte, verwunderte ihn noch immer. Bei einem derart schweren Vorwurf wäre es doch nur naheliegend gewesen, dem nachzugehen. Zumal Caldus sich daran zu erinnern glaubte, dass ein Soldat dieses Namens als vermisst gemeldet war.
    Was, wenn der Vorwurf des Segestes, so absurd er erscheinen mochte, nicht bloße Unterstellung gewesen wäre? Ein paar Trupps aufständischer Barbaren konnten für gehörige Verwirrung sorgen, erst recht mit der Unterstützung meuternder Hilfstruppen. In diesen Gebieten hatte es vor dem Eintreffen des Varus wiederholt Aufstände gegeben, die unter blutigen Verlusten niedergeschlagen worden waren. Die Grausamkeit und Hartnäckigkeit der Barbaren, auch gegenüber den eigenen Leuten, hatten die Römer in Atem gehalten.
    In der ersten Zeit, nachdem er seinen Dienst angetreten hatte, war er mit Schauergeschichten belästigt worden; wie durch eine wundersame Fügung war er sämtlichen Veteranen begegnet, die wegen verstümmelter Glieder verabschiedet worden waren. Die Stabsärzte verschonten ihn nicht mit Einzelheiten aus den letzten Schlachten, und die Centurionen prahlten mit der Tapferkeit ihrer Männer angesichts finsterster Gräuel. Schließlich weihte ihn ein Unterhändler vom Volk der Chauken in die Gebräuche der Barbaren ein,
in ihre Rechtsprechung, die allein auf der Willkür der Kleinfürsten beruhte und schreckliche Strafen kannte: Dieben hacke man die Hände ab, flüchtigen Sklaven die Füße, und Ehebrecherinnen würden ausgepeitscht und ersäuft, Verräter häute und henke man, und wolle man die wilden Götter milde stimmen, dann schlachte man Tiere oder gar Menschen, tränke durchlöcherte Steine mit deren Blut und lasse die Köpfe in Astgabeln und auf Stangen verrotten.
    Caldus starrte in die Finsternis. Viel hatte er von diesen Sitten bisher nicht gesehen, aber er hielt sich ja auch von den Volksaufläufen fern, mischte sich nicht unter die Leute. Es hatte auch in Rom Zeiten gegeben, in denen weitaus grausamere Strafen vollzogen worden waren. Während der Bürgerkriege waren entfesselte Banden durch die Straßen gezogen, Todesurteile waren willkürlich und sogar in Abwesenheit der Angeklagten gefällt und vollstreckt worden, sobald man des Verurteilten habhaft geworden war. Doch Augustus hatte den Frieden gebracht, den Tempel des Ianus geschlossen und wachte über die sorgfältige Ausübung des Rechts. Varus war als Statthalter dieser Gebiete gekommen, um diesem Recht hier Geltung zu verschaffen. Es blieb zu hoffen, dass ihm das gelang.

    Thiudgif pfiff leise die Luft zwischen den

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