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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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Zähnen hindurch, während ihre Hand über ihre wunde Ferse glitt. Die Blase war aufgeplatzt, das rohe Fleisch darunter nässte und blutete ein wenig. Ihre Füße fühlten sich an, als wären sie unter einen zusammenstürzenden Brennholzstapel geraten. Sie löste die Riemen und schlüpfte aus den Schuhen. Durchnässt waren sie ohnehin, denn die Sohlen waren löchrig und schmatzten bei jedem Schritt.

    Der Pfützenlehm legte sich um die Blasen und Abschürfungen und kühlte die wehe Haut. Sie blieb stehen, während der Morast leise blubbernd zwischen ihren Zehen hervorquoll, und blickte auf zu dem Wolkenmeer, aus dem es wie in dichten Fäden regnete. Das Nass erfrischte sie. Es konnte kaum Mittag sein, und sie blickte gen Südwesten. Zumindest glaubte sie, gen Südwesten zu blicken, denn ohne Sonne und bei diesem trüben Licht konnte sie es nur raten.
    Sie hatte den Tross verlassen, war in die sumpfige Wiese gegangen, weil sie den Schmerz, den die Schuhe verursachten, kaum noch hatte ertragen können. Dreißig, vierzig Schritt hinter ihr wälzten sich die Wagen über den Damm. Der Regen dämpfte das Rumpeln und Knarren, das Knallen der Peitschen, das Brüllen der Ochsen und Maultiere, wie aus weiter Ferne drangen die Laute bis zu ihr. Wenn sie jetzt losginge, einfach drauflos, in den Wald hinein, dessen Saum sie durch den Regenschleier erkannte, über Hügel und durch Täler, durch Bäche und über Wiesen, dann träfe sie irgendwann auf den Fluss, der sie zum großen Römerlager von Aliso führen würde. Und von da aus kannte sie den Weg. Glaubte, ihn zu kennen.
    Ein kalter Wind fuhr unter ihren Umhang und sie fröstelte, die bunten Träumereien zerstoben. Dicke Tropfen klatschten ihr ins Gesicht. Sie hob schützend den Arm, blinzelte das Nass von ihren Wimpern und zog die Kapuze tiefer in die Stirn. Der alte Soldatenmantel, den Annius ihr gebracht hatte, erwies sich in der Tat als nützliches Kleidungsstück. Sie wandte sich um, stapfte barfuß zurück, hielt angestrengt Ausschau nach der Frau, die ihr Obdach bot.
    Amra. Eine seltsame Frau. Unermüdlich ging sie hinter ihrem Karren her, ihre Tochter an der Hand, beide von Kopf bis Fuß verschleiert. Manchmal half sie dem Mädchen, sich
auf den Karren zu setzen, um etwas auszuruhen, was sie sich selbst nicht gönnte und auch sonst niemandem. Missmutig presste Thiudgif die Lippen zusammen. Sie war es nun einmal nicht gewohnt, den ganzen Tag zu laufen.
    Unvermittelt stand ihr der Marsch in der Herde der Versklavten vor Augen, die zerlumpten Menschen, die vorwärtsschwankten wie Holzstücke in der Strömung. Mehr geschoben als aus eigenem Antrieb war sie mitgegangen. Den Schmerz in ihren Beinen, in ihrem ganzen Körper hatte sie kaum wahrgenommen, da sie vor Angst wie betäubt gewesen war. Hastig rieb sie mit der freien Hand ihren Oberarm, kratzte die von der rauen Wolle gereizte Haut. Vor sich erkannte sie den Wagen mit der bunten Plane, den Wagen der schlechten Weiber, der Huren, die sich seit dem Morgen unter der Plane verkrochen hatten. Vergebens hatte Amra sich bemüht, einen anderen Platz im Tross zu bekommen als ausgerechnet hinter einem Hurenkarren.
    Thiudgif warf einen schnellen Blick über die Schulter zurück, während sie die Riemen der Schuhe an ihren Gürtel knotete. Irgendwo jenseits der Wälder lebte ihr Vater, schmiegte sich das Dorf, in dem sie aufgewachsen war, auf einen Hügel, umhegt von Graben und Palisade, umgeben von Feldern und Wiesen, vom Schwemmland eines Flüsschens, von lichten Auwäldern, in denen die Kinder herumtollten, wenn ihnen das Gänsehüten langweilig wurde. Thiudgif hatte gern Gänse gehütet. Morgens hatte sie gemeinsam mit anderen Mädchen die kleine Schar bei den Nachbarn gesammelt und in einem watschelnden, schnatternden Festzug auf die Wiesen geführt, wo die Tiere bewacht werden mussten, während sie sich am saftigen Gras gütlich taten. Noch vor Sonnenuntergang, bevor Fuchs und Wiesel auf die Jagd gingen, hieß es, die großen Vögel wieder heimwärts zu treiben.

    An zwei Dörfern waren sie heute vorbeigekommen, die abseits der Straße auf flachen Hügeln lagen. Wie ausgestorben hatten die hinter hohen Knüppelzäunen geduckten Dächer gewirkt. Der Regen schluckte die Rauchfahnen, und weder Mensch noch Tier waren zu sehen. Sicherlich hatten die Bewohner sich mit ihrem Vieh in den Wäldern versteckt, damit man ihnen nichts nehmen konnte.
    Hart griff eine Hand in ihren Umhang, bekam ihren Oberarm zu fassen. »Wohin so eilig,

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