Varus - Historischer Roman
Täubchen?«
Zwei Männer waren wie aus dem Nichts aufgetaucht. Thiudgif war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie sie nicht bemerkt hatte. So entschlossen sie sich auch wehrte, sie konnte die Hand nicht abschütteln, sondern erntete nur leises Gelächter, das nicht einmal böse klang.
»Sag, wohin gehst du, Mädchen?«, wiederholte der Mann.
Thiudgif sah helle Augen, harte, scharfkantige Züge umrahmt von braunem Haar, das ihm vom Kopf abstand wie die Stacheln eines Igels.
»Ich bin die Sklavin des Titus Annius!«, schrie sie. »Lass mich sofort los!«
Tatsächlich lockerte er seinen Griff, Thiudgif befreite sich mit einem Ruck und stolperte ein paar Schritte rückwärts.
»So ein niedliches Mädchen«, sagte der, der sie festgehalten hatte. »Es wäre doch schade um sie …«
Der andere stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Mag schon sein, das haben wir nicht zu entscheiden.«
Sie hatten in ihre Sprache gewechselt, in die harte Mundart der Cherusker. Offenbar dachten die beiden Männer, dass sie sie nicht verstand. Sie verzog das Gesicht, versuchte Verwirrung vorzutäuschen, um sie in diesem Glauben zu bestärken. Als ein Grinsen des anderen Mannes ihr verriet,
dass sie auf ihre linkische List hereinfielen, ließ sie ein winziges Lächeln zu.
»Und wenn mir einer zuvorkommt?«, sagte der erste.
»Es fallen genug Weiber ab, wenn der Tross dran ist. Dann kannst du dir jede nehmen. Und die da drüben«, er deutete zu dem bunten Hurenkarren, »sehen doch auch lecker aus.«
Thiudgif glaubte, das Blut gefröre ihr vom Boden her in den Adern. Der ungleiche Ringkampf am Ufer stand ihr plötzlich vor Augen, wieder hörte sie das Klatschen und Gurgeln, das irgendwann erlahmt war, sah Tuch, das sich in den Wellen blähte, einen leblosen Körper, der bäuchlings im Wasser trieb. Rasch machte sie zwei Schritte rückwärts.
»Lauf doch nicht weg, Mädchen!«, sagte der erste, und der andere lachte, doch sie flog herum und wollte wegrennen, strauchelte im Morast, der ihre Füße festhielt. Wieder packte die Hand sie.
»Nicht gleich fallen!«
Sie warf den Kopf zurück wie ein scheuendes Pferd, dabei rutschte die Kapuze nach hinten. Der Mann fasste in ihr Haar und zog eine Strähne aus dem losen Zopf, drehte sie um seine Finger.
»Lass sie gehen«, sagte der andere. »Du weißt, dass wir keinen Ärger verursachen dürfen, bevor es losgeht.«
Die Strähne fiel auf ihre Schulter. »Schade«, murmelte der erste. »Wirklich schade.«
Kaum lösten sich die Finger um ihren Arm, stürzte Thiudgif davon, hastete stolpernd am Damm entlang, bis sie Wagen und Menschen erkannte, in deren Nähe sie Amra und ihren Karren wusste. In kurzen Sprüngen rannte sie die Böschung hinauf. Oben erwartete Amra sie, eine schmale, kleine Gestalt, eingehüllt in ihren Mantel, der vor Nässe fast schwarz war.
»Wo hast du dich herumgetrieben?«
»Ich musste …«
»Und dann gehst du allein?«
Abrupt drehte Amra sich um und stapfte zu ihrem Karren, der etliche Schritt vor ihnen über den Damm rollte. Thiudgif schlug noch immer das Herz im Halse, ohne dass sie hätte sagen können, ob sie mehr die Angst vor den beiden Männern peinigte oder die Erinnerung an den Mord. Sie blickte sich um, spähte nach ihnen, doch ein Schleier aus Regen und Nebel hatte sie verschluckt. Sie waren ihr nicht gefolgt. Aufatmend trottete sie hinter Amra drein, schloss den Umhang mit einer Haarnadel und rieb darunter ihre Arme. Die Nässe hatte die Kleider durchdrungen, schien an ihrer Haut zu fressen. Wenigstens linderte der Schlamm den Schmerz an ihren Füßen.
Sie hätte jemandem sagen müssen, was sie am Fluss beobachtet hatte, sie hätte es zumindest Annius sagen müssen, ihn zuvor versprechen lassen, dass er niemandem verrate, wer ihm das berichtet habe. Die Römer glaubten Sklaven und Gefangenen nicht, das sagten alle. Nur was unter der Folter wiederholt worden sei, gelte. Während des Marsches hatte sie darüber nachgedacht, das Gerücht zu streuen, aber die Furcht, jemand könnte es zu ihr zurückverfolgen, hatte sie davor zurückschrecken lassen.
Gesenkten Hauptes setzte Thiudgif Fuß vor Fuß, nahm sich eine frische Karrenspur als Wegführung. Manchmal stießen ihre Zehen an etwas Hartes, doch Kälte und Nässe hatten sie betäubt. Thiudgif zählte ihre Schritte, bis sie durcheinandergeriet, dann begann sie von vorn. Immer früher begann sie, immer schleppender bewegte sie sich vorwärts, musste laufen, um mitzuhalten.
Ein Raunen flog über die
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