Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
auf.
Ihr sitzt, wie zu erwarten, am Tisch von Magnani, links neben der Tafel der Firmenchefs mit der blühenden Kaskade aus Callas, Kamelien und Orchideen. Soeben wurden die Vorspeisen serviert. Aggradi junior steht auf, um dich zu begrüßen.
»Sie haben den Aperitif versäumt«, sagt er, und dir ist klar, dass es sich nicht um einen Willkommensgruß handelt. Derweil studierst du die Sitzordnung an den Tischen, als handelte es sich um eine Sternenkonstellation mit den Eigentümern in der Mitte.
Den Nachbartisch der Aggradis hat die Verwaltung ergattert. Gleich daneben siehst du die Abteilung Lieferanten. Der Bereich Fotosatz erstreckt sich über zwei Tische, von denen der eine dir den Blick auf die Eigentümer versperrt. Und Aggradi senior sitzt auch noch mit dem Rücken zu dir. Nein, das ist gar keine gute Position. Elisa fragt, was mit dir los sei.
»Nichts«, lügst du. »Gar nichts.«
Mindestens zwei Tische mit Angestellten aus der Herstellung sind genauso weit vom Zentrum des betrieblichen Sonnensystems entfernt wie deiner. Und du weißt, dass nichts davon Zufall ist. Nur die Fahrer und die Akkordarbeiterinnen aus der Binderei sitzen noch weiter ab vom Schuss als du. Mit Goldbrasse gefüllte Crêpes an Püree von weißen Böhnchen mit Koriander werden serviert.
Magnanis Frau lächelt dich an und wartet immer noch darauf, dass du sie ansprichst. Sie trägt ein geschmackloses, eng anliegendes schwarzes Stricktop mit Stehkragen und langen Ärmeln, die aber die Schultern frei lassen. Die Kellner bringen gefüllte Kürbisblüten.
»Köstlich«, sagt deine Frau. »Was ist denn da drin?«
»Stockfischmousse«, antwortet Magnani.
»Ganz einfach zu machen«, bemerkt seine Frau. »Ich habe das Rezept zu Hause.«
»Das muss ich auch mal kochen. Lecker, oder?«, fragt Elisa dich.
»Sehr lecker.«
Die Slideshow über das vergangene Geschäftsjahr beginnt mit der Titelmelodie von »Die Stunde des Siegers« und endet mit Wagner. Als die beiden Aggradis sich erheben, bricht im ganzen Saal ein Applaus los, dass die Kronleuchter klirren. Gebeugt, aber erstaunlich flink eilt der Abteilungsleiter der Lohnbuchhaltung mit einem Funkmikrofon herbei.
Der Zeitpunkt der Verleihung der Prämien ist gekommen. Anschließend gibt es noch Torte, und danach beginnt der Tanz, der für dich das Schlimmste überhaupt ist, noch schlimmer als Karaoke. Du tanzt nicht gern, und du weißt nur zu gut, dass schlechte Tänzer mindestens einen Monat lang zum Gespött am Kaffeeautomaten werden. Aber wenn du nicht tanzt, könnte es so aussehen, als würdest du die Vergnügungen, die dein Arbeitgeber seinen Bediensteten spendiert, nicht angemessen honorieren. Und das bedeutet Punkteabzug.
Der Torwart der Hallenfußballmannschaft wird geehrt, weil er bei den Regionalmeisterschaften die wenigsten Tore kassiert hat.
Die Chefin der Abteilung Einkauf wird geehrt. Zwölf Prozent Einsparungen beim Bürobedarf. Auf dem Gang wird sie nur Loretta die Betonmischmaschine genannt. Sie hat einen sechzehnjährigen Sohn, aber keinen Ehemann mehr.
Der Leiter der Abteilung Bildbearbeitung wird geehrt.
Und dann bittet man Magnani zum Tisch in der Mitte des Saals.
In diesem Moment fühlst du dich wie der Stuhl, auf dem du seit Beginn der Veranstaltung vergeblich eine bequeme Position suchst: unwichtiges Beiwerk wie zweihundert andere auch.
Wenn gar kein Vertreter geehrt worden wäre, hättest du das vielleicht noch ertragen. Aber dass sie Magnani auszeichnen, empfindest du als unausgesprochenen Vorwurf und Zeichen deiner Niederlage. Du hast allerdings keine andere Wahl, als zu lächeln und zu applaudieren, und zwar überzeugend. Neidisch sind sie hier alle, aber wer sich etwas anmerken lässt, kann sich auf allgemeine Ächtung gefasst machen.
Aggradi senior umarmt Magnani. Die Firma schenkt ihm ein tragbares GPS-Navigationsgerät. Du hast gelesen, dass in Amerika jeder so etwas hat. In Italien wird es nur in Luxuslimousinen serienmäßig eingebaut.
Der große Magnani hat kürzlich den Vertrag mit einem großen Logistikunternehmen besiegelt. Zweihundertfünfzigtausend Flyer pro Woche, unterschiedliche Formate, alle in Vierfarbdruck, vier bis acht Seiten Umfang, und das allein für die Toskana. In zwölf Monaten könnte man auch mit Ligurien, Umbrien und vor allem mit der Emilia ins Geschäft kommen. Dann wären es schon über eine Million Drucksachen pro Woche.
Implementierbar . Du reckst beide Daumen in die Höhe und streckst sie Magnanis Frau entgegen,
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