Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)

Schulden komplett getilgt sind. Aktuell belaufen sie sich auf …«
    »Schon gut, Guerri, ich kenne die Zahlen«, lenkt Walter ein.
    »Lieber melde ich Konkurs an!«, rebelliert Augusto und schlägt mit beiden Händen auf den Schreibtisch.
    »Ich bitte Sie!«, versuchst du ihn zu beruhigen. »Es geht doch nur darum, Ihr wertvollstes Kapital möglichst sinnvoll auszuschöpfen. Das, was Sie in all den Jahren mit großem Engagement auf einem hohen intellektuellen Niveau geschaffen haben.«
    »Hören Sie auf!«
    »Ich rede von Ihrer Marke, Augusto. Nehmen Sie zum Beispiel die Designer. Die kreieren Linien eigens für die Massen, und was kaufen die Leute? Die Marke, die Tom Cruise oder Sharon Stone bei der Oscarverleihung trugen. Nicht genau dieses Kleid, es ähnelt ihm nicht einmal, denn das war ein Kunstwerk, ein Einzelstück. Und Kunst ist nichts für jedermann, meine Herren, darauf weisen Sie mich ja immer wieder hin, und da bin ich völlig Ihrer Meinung.«
    »Fünf bis zehn Titel im Monat«, planst du mit Aggradi junior. »Die drucken wir ganz gemütlich in den Leerlaufzeiten. Papierqualität und Format bestimmen wir.«
    »Natürlich suchen Sie nur die Besten aus«, beschwichtigst du Augusto. »Die Verleger sind immer noch Sie. Unter hundert Manuskripten im Monat wird man ja wohl fünf oder sechs finden, die vertretbar sind, oder?«
    »Fünf oder sechs?«
    »Sie haben doch eine sehr tüchtige Mitarbeiterin. Trauen Sie ihr mehr zu, binden Sie sie stärker ein.«
    »Wir werden eine Fabrik.«
    »Sie werden ein Unternehmen, meine Herren«, konterst du und klappst deine Aktentasche zu.
    Du hast schon die Autotür in der Hand, als die von dir zu einer sehr tüchtigen Mitarbeiterin beförderte frischgebackene Literaturwissenschaftlerin mit zwei Paketen unter dem Arm durch das Gartentor tritt.
    »Danke für das Geschenk«, sagst du und kostest den Augenblick aus, in dem sie es in ihrer Verwirrung versäumt, das eine passende Wort zu sagen, das eure winzige Konversation einer Zukunft zuführen könnte.
    »Lesen Sie es. Sturmhöhe ist wunderschön«, ist das Einzige, was sie herausbringt, während du mit deinem schönsten Abschiedslächeln ins Auto steigst.
    Gegen Abend ruft Elisa an. Caterina hat sich für ihren Weihnachtswunsch entschieden.
    »Sie will nach Eurodisney. In Paris.«
    »An Weihnachten?«
    »Oder nach Neujahr, was meinst du?«
    Das wird eine schwierige Phase, in der Firma gibt es den Jahresabschluss. Elisa müsste das eigentlich wissen, doch sie ermahnt dich: »Du musst auch mal ausspannen, Furio.«
    Es kommt nicht häufig vor, dass deine Frau dich beim Namen nennt.
    Wenn sie es dann doch einmal tut, klingt es wie eine Alarmglocke.
    »Paris wäre so schön!«, drängelt sie.
    Das Wort »Paris« hat sie ausgesprochen wie die amerikanischen Schauspielerinnen, die mit Tom Cruise drehen. Tom Cruise würde sich nicht groß rechtfertigen. Dir gefällt Tom Cruise am allerbesten, wenn er den Mistkerl spielt.
    »Tut mir leid, aber über Neujahr … das geht überhaupt nicht.«

15
    B is zum Abend habe ich durchgeschlafen.
    Ich habe weder vom Meer geträumt noch von der Insel. Und jetzt habe ich Hunger.
    Ich mache mir ein paar matschige Spaghettireste in der Pfanne warm, schalte den Computer ein und sage mir, dass ich es nicht länger aufschieben darf.
    Zehn Tropfen auf die Zunge. Sie schmecken bitter, aber nicht so schlimm wie das, was mich erwartet.
    Die Website nennt sich Peek-a-Babe , ich habe sie unter Lauras »Favoriten« gefunden. Vermutlich hat sie sich hier herumgetrieben, weil sie herausfinden wollte, welche Mädchen aus ihrer Klasse unter einem Nickname ihre Fotos anbieten.
    Man kann sich gratis registrieren lassen. Als Benutzer tippe ich meinen Kollegen Edo Magnani ein, Alter: zwanzig, erkläre meine Volljährigkeit und wähle einen Nickname.
    Heathcliff.
    Über eine Stunde surfe ich herum. Die Nudeln in der Pfanne sind längst wieder kalt. Auf dem Bildschirm öffnen sich Fenster von Mädchen, die auch gerade online sind, und wechseln und verschwinden in einem fortlaufenden Band. Auf den Fotos neben den Profilen sind nur Details zu sehen: Augen, lackierte Fingernägel, Füße, gepiercte Bauchnabel. Oder es sind Fotos berühmter Models, Sängerinnen und Schauspielerinnen. Die Namen sind unglaubwürdig bis albern und enden fast alle auf 4U: Schoolgirl4U, Sweetvirgin4U, Peperina4U. Probeweise starte ich einen Annäherungsversuch, um mich mit der Sache vertraut zu machen. Bei einem Mädel namens »Sexydancer«