Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
als wärst du dabei. Aber es ist schon neun, und du bist noch unterwegs. Wenn Elisa einen Weg beschreiben soll, kommt immer ein Riesenchaos dabei heraus, und das Umleitungsschild war kaum zu erkennen. Du hättest das GPS-Gerät nehmen können, das Magnani in deinen Papierkorb geschmissen hat. Aber die Siegestrophäe deines Exkollegen willst du nicht, lieber kaufst du dir selber eins. Die sind zwar noch ganz schön teuer, aber das kannst du dir jetzt leisten.
In der Haarnadelkurve einer Steigung stellst du fest, dass es noch acht Kilometer sind. Du wirst über eine halbe Stunde zu spät kommen, was in der Familie Domini als klare »Respektlosigkeit« gilt. Warum muss sich dein Schwager auch immer so gottverlassene Orte aussuchen, wenn er euch zu zwei Crostini und dem unvermeidlichen Schweineschmorbraten einlädt?
Du bist über eine halbe Stunde zu spät, aber es ist, als wärst du längst dort. Du wirst nicht viel versäumt haben. Familienessen sind immer gleich.
Die Begrüßung ist herzlich. Caterina rennt auf dich zu und stößt gegen den Stuhl eines Alten, der gerade seine Suppe schlürft. Deine Schwägerin sitzt über einem üppigen Crostini-Sortiment. Bei der Begrüßung flüstert dein Schwager dir den Grund für die lange Anfahrt ins Ohr: »Hier wird das Steak noch mit Knochen zubereitet, Rinderwahn hin oder her. Jetzt wollen sie uns schon das bistecca alla fiorentina verbieten.«
»Was sagst du als Arzt denn dazu? Müssen wir uns Sorgen machen?«, hakst du nach.
»Alles Unsinn. Lasst euch nicht in Panik versetzen. Ich kann dir sagen, wie das läuft. In ein paar Jahren werden sie was beim Geflügel finden, anschließend beim Schwein, und dann ist die Runde komplett.«
Dein Schwager trägt immer diese unausstehliche Gewissheit des Klassenprimus zur Schau. Wenn er etwas sagt, bleibt nichts mehr hinzuzufügen. Du klaust deiner Tochter ein Grissini und beißt kräftig hinein wie Bugs Bunny in eine Möhre.
»Caterina, wollen wir uns ein leckeres Hähnchen teilen, wie zu Hause?«
»Es ist zwar von Versace, aber ich finde, das sieht man gar nicht, sonst hätte ich es nicht gekauft«, sagt deine Schwägerin Vanna.
»Es steht dir hervorragend«, schwärmt deine Schwiegermutter.
Während du dir mit Caterina das Brathähnchen teilst, erzählst du voller Stolz, wie viel Zeit sie damit zubringt, Muster und Schnörkel zu zeichnen und sich die tollsten Verkleidungen auszudenken.
»Die Hausaufgaben müssen aber auch erledigt werden!«, mahnt deine Schwägerin prompt.
»Hausaufgaben gefällt mir nicht.«
»Die sind aber wichtig, und außerdem heißt es gefallen «, mischt deine Schwiegermutter sich ein.
Obwohl das Restaurant voll ist und das Stimmengewirr an den Tischen ohrenbetäubend, erhebt sich dein Schwager zu einem Toast mit dem mitgebrachten Jahrgangswein aus der Magnumflasche und sagt, manche Ziele könne man nur mit Fleiß, Glauben und der Unterstützung einer so wunderbaren Ehefrau wie Vanna erreichen.
Deine Schwiegermutter küsst und umarmt sie. Dein Schwiegervater hebt sein Glas.
»Aber«, fügt Mariano Domini hinzu, »heute Abend haben wir noch eine andere schöne Neuigkeit zu feiern.«
Du siehst zu deiner Schwägerin hinüber, die aber keinerlei Rührung zeigt. Nein, das ist sie nicht, die schöne Neuigkeit .
»Unter uns ist jemand, der sich auf ein neues berufliches Abenteuer einlassen wird.«
Auch du nimmst dein Glas zur Hand, siehst die anderen an und lächelst. Auf seine Weise ist dein Schwager doch ein netter Klassenprimus, denkst du.
»Auf unsere Elisa, die ab morgen die Wahlkampagne von Romina Bianchi unterstützen wird. Herzlichen Glückwunsch an sie und an die von uns allen geschätzte Kandidatin!«
Du stellst dein Glas wieder ab und schaust Elisa an. Caterina klatscht in die Hände. Auch dein Schwiegervater steht auf.
Während deine Schwägerin sich Panna cotta mit Waldbeeren bestellt, hört deine Schwiegermutter nicht auf, Caterina mit der Schule, der Lehrerin und den Klassenkameraden auf die Nerven zu gehen. Schließlich startet deine Tochter ein Ablenkungsmanöver:
»In meiner Klasse sind zwei Cousins. Was ist das eigentlich?«
Elisa richtet sich auf wie eine Hirschkuh, die feindlichen Geruch wittert.
»Das hat Mama dir doch neulich schon erklärt.«
»Ich hab’s wieder vergessen.«
»Das sind Kinder, deren Väter Brüder sind«, erklärt Elisa.
»Oder deren Mütter Schwestern sind«, ergänzt deine Schwägerin pedantisch.
»Hab ich gar keinen Cousin?«
»Komm, jetzt iss
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