Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
noch einmal so glücklich sein könnte. Ich sitze vor meinem Computer, allein mitten in der Maremma, wo ich die Ferienhäuser von unerträglichen Öko-Spießern bewache, und bin glücklich. Trotz der beiden Ärsche … Trotz allem.
Shaina : ich sag so viel und du sprichst nie über dich.
Ich weiß nicht, was ich antworten soll, bin wie gelähmt. Was würde ich meiner Caterina nicht gern alles erzählen. Dinge, die sie schon weiß oder zu wissen glaubt. Und Dinge, an die sie sich nicht erinnern kann oder will.
Ich möchte ihr sagen, wie sehr sie mir die ganze Zeit über gefehlt hat, dass ich jeden Tag an sie gedacht habe in diesen zehn Jahren, in denen ein ganzes Heer von Idioten uns voneinander ferngehalten hat. Sie und ich, »wie im Knast«. Recht hat sie.
Ich möchte ihr verraten, dass hier am Computer ihr Vater sitzt. Sie soll erfahren, dass ich nie aufgehört habe, ihr Vater zu sein, denn niemand kann dir etwas nehmen, das ein Teil von dir ist.
Doch ich sehe ein, dass es noch nicht so weit ist. Ich darf mich nicht verraten, und ich darf mich nicht ablenken lassen.
Also keine Zerstreuung, den Details größte Aufmerksamkeit schenken. Diese Art zu leben habe ich als Monster gelernt.
Ich habe mir vorgenommen, mich gegen Ende der Woche bei Laura zu melden. Ich wäre sicher nicht der erste Mann, der nach einer Bettgeschichte untertaucht, aber dieses Verhalten kann eine gefährliche Verunsicherung erzeugen. Ein Mann kann darauf pfeifen, ob es ihr gefallen hat, oder sich einfach Illusionen hingeben, während eine Frau den Vorteil genießt, objektiv zu wissen, wie es für den Mann war. Aber gerade das kann zu quälenden Fragen führen: Warum ruft er nicht mehr an? Habe ich etwas falsch gemacht? Wollte er vielleicht mehr?
Nach dem dritten Klingeln geht sie ans Telefon. Ihre Stimme ist leise.
»Störe ich?«, frage ich als Erstes.
Sie sagt, sie gehe gerade zu einer Zigarettenpause auf den Hof. Ich kann mich nicht erinnern, sie je rauchen gesehen zu haben.
»Ich hab gestern wieder angefangen«, sagt sie, und ich höre sie dicht am Mikrofon atmen. »Erinnerst du dich an den Stress mit der Schülerin, die ich begleite? Das kaputte Fenster und die Notambulanz?«
Ich erinnere mich sehr gut, sage ich vielleicht etwas zu eindringlich für ein Monster. Zum Glück merkt Laura nichts. Sie erzählt, sie sei zum Rektor bestellt worden, wo schon der Onkel des Mädchens wartete.
»Sie wohnt nicht bei ihren Eltern, weißt du. Sie hat eine schwierige Vergangenheit, aber eigentlich wollte ich dich damit jetzt gar nicht nerven.«
»Nur zu«, antworte ich.
»Also, ich komme zum Rektor, und da sitzt dieser Onkel mit gezücktem Scheckheft am Schreibtisch. Ich denke, er wird sicher für das kaputte Fenster aufkommen wollen, stattdessen informiert mich der Rektor, der werte Herr Oberarzt habe die Absicht, unserer Schule eine Spende zukommen zu lassen. ›Schön‹, sage ich und fühle mich sehr unwohl. Da schaut der mich an und fragt: ›Können wir die Sache mit dem Unfall damit als erledigt betrachten?‹ Und ich dumme Kuh schnalle nichts und denke, er meint das kaputte Fenster. Das wurmt mich am meisten, dass der Rektor mir ganz klar und deutlich sagen musste, worum es eigentlich geht. Ich solle keinen Bericht schreiben, sonst würde es keine Spende geben.«
»Und du?«
»Ich bin aufgestanden und eine Zigarette rauchen gegangen.«
Da hätte ich wohl genau den falschen Moment erwischt, sage ich.
»Im Gegenteil«, sagt sie. »Ich brauche deinen Rat, was soll ich denn jetzt machen?«
Ich lasse mir Zeit, und Laura lästert, wie arrogant der werte Herr Oberarzt sei. Eine öffentliche Person, ultrakatholisch, mit Beziehungen zum Opus Dei. Der halte sich für allmächtig, sehe sie immer so von oben herab an, als wäre sie eine Sozialschmarotzerin.
»Was für ein Arschloch!«, entfährt es mir.
»Stell dir das mal vor! Als ob ich darauf verzichten könnte, einen Bericht zu schreiben, wenn zwei Mädchen sich fast gegenseitig den Bauch aufschlitzen! Dann kann man diesen Hominiden ja gleich erlauben, Knarren mit in die Schule zu bringen!«
Ich gebe ihr recht, aber dann lasse ich die Frage vom Stapel, die mich am meisten bewegt.
»Und das Mädchen? Was passiert mit ihr, wenn du einen Bericht schreibst?«
Ich höre Laura weiteren Qualm ausstoßen. Und ich höre einen unentschlossenen Seufzer.
»In Englisch wird es nicht reichen.« Erneuter Seufzer, noch mehr Qualm. »Seit sechs Monaten hat sie keinen Aufsatz mehr für Italienisch
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