Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
Mensch? Wenn du es fertigbringst, deine Frau umzubringen, bist du eh verloren.«
»Na, dann her mit der Todesstrafe!«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber du wünschst es ihm. Du willst, dass er stirbt, du willst nur nicht diejenige sein, die den Abzug drückt. Da machst du es dir aber sehr bequem.«
Laura wirft mir einen schrägen Blick zu.
»Wer sagt denn, dass ihr Onkel ihn umbringen will?«
Ich zeige auf das Schild.
»Achtung! Du musst hier abbiegen!«
Sie bittet mich um Entschuldigung. Es sei ein harter Tag gewesen, sie habe so viel reden müssen. Und dieses Thema ließe sie halt immer noch nicht kalt.
Auch ich bitte um Entschuldigung, ich verstünde sie ja und hätte wohl ein bisschen oberflächlich argumentiert. Ich stelle unsere Koffer auf die Holzbank und schaue mich im Zimmer um. Hohes Bett, ausgeleierte Federn. Schmiedeeisernes Kopfteil mit Herbstlaub in Schablonentechnik. Als ich das Fenster öffne, flüchtet eine Spinne die Fensterbank entlang.
»Schön hier«, sage ich.
Laura nimmt mich in den Arm, schmiegt ihr Gesicht an meine Brust. Wir stehen schweigend am Fenster, dann knabbert sie an meinen Lippen wie an einer glühend heißen Köstlichkeit.
»Hast du Hunger?«, fragt sie.
»Ja.
»Ich auch«, sagt sie und packt mich am Hintern.
»He, was sind denn das für Vertraulichkeiten?«
»Du hast recht. Schluss mit dem Süßholzraspeln. Gehen wir essen. Damit du nachher in Form bist.«
Wir gehen zu Fuß ins Dorf hinauf. Schwalben gleiten von den Dächern herab, an den ockerbraunen Mauern wuchert Efeu, und unter den Glyzinien leuchten Katzenaugen. Sogar die Pflastersteine unter unseren Schuhen fühlen sich weich an, obwohl die Straße steil ansteigt. Laura hat ihren Arm um meine Hüfte gelegt und sagt, sie habe eine schöne Überraschung für mich.
Sie kramt ein zusammengefaltetes Blatt aus ihrer Tasche. Bei genauerem Hinsehen sind es sogar zwei Blätter. Liniertes Kanzleipapier. Ein Aufsatz im Fach Italienisch. Von Caterina.
»Sie hat mir das schönste Geschenk in diesem beschissenen Schuljahr gemacht.«
Aufsatzthema waren die nächsten Ferien, erklärt Laura.
Meine Tochter hat geschrieben, dass sie nach Nordengland will, ins Hochmoor, das sei eine einsame Gegend, wo man wirklich allein sein könne. Sie sei nämlich pausenlos von Leuten umgeben, »denen ich scheißegal bin und die mir ständig sagen, was ich zu tun und zu lassen habe«. Das Hochmoor von Yorkshire sei ein wunderschöner Ort, »an dem es keine Liebe zu geben scheint, aber das stimmt nicht«. Man müsse begreifen, dass in einer Gegend, in der es so viel Stein und Wind gibt, auch die Liebe wie Stein und Wind ist. Um ihre These zu unterfüttern, spricht sie von diesem Buch, das ihr unheimlich gut gefallen hat. Immer noch dasselbe, Sturmhöhe . Sogar den Inhalt hat sie wiedergegeben, auf zwei Spalten, mit allen Namen, völlig korrekt. Und dann schreibt sie noch, die Liebe von Heathcliff und Catherine sei wie der Wind im Hochmoor. Wenn man stehen bleibt und sich ihm widersetzt, zerbricht man wie ein Baum. Und wenn man ihm hinterherrennt, erreicht man ihn nie. »Der einzige Weg ist, sich von ihm forttragen zu lassen«, folgert meine Tochter.
Ich schlucke, bis ich keinen Tropfen Speichel mehr im Mund habe.
»Sie hat das ganz allein geschrieben, ohne jede Aufforderung. Und ohne mich irgendetwas zu fragen. Deshalb kam ich auf die Idee, sie auch das hier noch machen zu lassen.«
Auf dem zweiten Papierbogen hat sie ihren Aufsatz auf Englisch zusammengefasst. Fünf oder sechs Sätze, in Schönschrift auf dem Blatt verteilt wie Wolken an einem windigen Tag.
»Ich habe schon mit meinen Kolleginnen gesprochen. Sie sind damit einverstanden, das als bestandene Nachprüfung zu werten.«
»Das glaube ich wohl.«
»Gerade mal zwei Fehler! Eine unglaubliche Verbesserung, oder?«
Vielleicht merkt Laura, dass es mir schwerfällt, die Blätter zurückzugeben, die meine Tochter beschrieben hat. Die meine Tochter berührt hat.
»Unglaublich, Glückwunsch!«, gratuliere ich Laura.
»Ich habe nichts dazu beigetragen.«
»Und wie erklärst du dir das?«
»Sie hat sich verliebt.«
»In wen?«
»Das fragst du noch?« Laura schaut mir direkt in die Augen.
»Ins Hochmoor doch wohl, oder?« Sie schaut zur baufälligen Stadtmauer des kleinen Ortes hoch und drückt mich noch fester an sich.
Am Stadttor werden wir von zwei Knappen mit iPods begrüßt und müssen bei den Zöllnern unsere Euros in Blechtaler tauschen.
An den Straßen, die zur
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