Vater. Mörder. Kind: Roman (German Edition)
Festung hinaufführen, reihen sich Bänke und Tische aneinander. Vergeblich sucht man nach einem Krümel, der nicht gesund, naturbelassen, biologisch-dynamisch, makrobiotisch, garantiert, selektiert, aus traditioneller Herstellung oder direkt vom Bauern wäre. Vor lauter Gesundheitswahn denke ich nur noch an mein Lithium, während Laura sich eine Zigarette nach der anderen anzündet. Auf dem zentralen Platz, über dem der Rauch der Grillstände und der Fackeln hängt, verkünden Trommler die Ankunft der Fahnenschwenker. Mitten in diesem Trubel verkaufen zwei Pakistanis unbeirrt ihre fluoreszierenden Kreisel.
»Hast du es nicht bereut, den Bericht geschrieben zu haben?«, frage ich sie unvermittelt.
»Ein Bericht ohne Suspension hat keinerlei Auswirkungen. Ich hab mir das vorher gut überlegt, was denkst du denn?«, erklärt sie. Dann sieht sie mich misstrauisch an.
»Woher weißt du das überhaupt?«
»Hast du mir selber gesagt. Am Telefon.«
»Offenbar muss ich mir langsam Sorgen um mein Gedächtnis machen.« Sehr überzeugt klingt das allerdings nicht. »Da ist übrigens noch etwas«, sagt sie, als wir endlich einen Platz gefunden haben, an der Ecke einer abschüssigen Straße. Wir stellen unsere Tabletts auf der Bank ab, und ich kann die Wasserflasche gerade noch erwischen, bevor sie eine fünfzig Meter lange Treppe hinunterrollt.
»Sehr bequem sitzen wir hier nicht«, bemerkt sie.
»Macht nichts. Erzähl.«
»Zum Ende des Schuljahrs findet eine zweitägige Feier statt. In der Turnhalle wird eine Bühne aufgebaut. Dieses Jahr spielt eine Rockband, und ein paar Mädchen aus meiner Klasse haben sich eine Choreografie zu einem Stück von Beyoncé ausgedacht. Außerdem führt eine Gruppe aus der letzten Klasse ein paar Episoden aus diesem Roman über Yuppievampire auf, wie Caterina sie nennt. Sie fand das natürlich alles total blöd. Aber dann …«
»Was dann?«
»Dann hat sie sich an die Arbeit gemacht. Allein, versteht sich. Ein Gemälde in Mischtechnik. Sie hat sich da mit Leib und Seele hineingestürzt und arbeitet jeden Morgen mindestens eine Stunde daran. Sie hat sich im Geräteraum der Turnhalle verschanzt. Ich musste mir vom Hausmeister den Schlüssel besorgen.«
»Warum?«
»Weil sie keinen reinlässt. Caterina behandelt das als top secret . Es soll eine Überraschung werden.«
»Hast du es schon gesehen? Was malt sie denn?«
»Nein, das bleibt ein Geheimnis. Ich hab’s ihr versprochen.«
Ich bedränge sie und warte immer noch auf dieses eine Wort, eine einzige Silbe oder eine Grimasse würde mir schon genügen, als ich plötzlich jemanden meinen Namen rufen höre. Meinen richtigen Namen.
Furio Guerri.
Nur eine kleine Unaufmerksamkeit. Ein unwillkürlicher Reflex, den ein Monster eigentlich im Griff haben müsste. Doch ich, das Monster Furio Guerri, habe leider die Deckung vernachlässigt. Ich begehe den Fehler, mich umzudrehen, und schon sehe ich ihn. Er winkt mir aus einem Pavillon zu, der genauso aussieht wie die anderen, mit gelber und grüner Borte, nur dass er auch noch dieses unauffällige Logo hat.
»Bio-Hof Gorgona«.
In dem Moment, als sich die Beschriftung zu einem Schandmal aus feuerroten Lettern aufbläht, tritt Manuel Bosco mit ausgebreiteten Armen aus der Bude.
»Wahnsinn, Furio, der Guerri!«
Manuel Bosco könnte man als halb alphabetisiertes Fässchen bezeichnen. Ohne mir auch nur die Chance zu geben, vorher aufzustehen, drückt er mich an sich. Seine Arme sind bis zu den Handgelenken tätowiert, und mit seinen vor Ringen strotzenden Fingern hat er seinen Vater erwürgt, um die nächste Dosis zu finanzieren. Auf der Flucht hat er dann auch noch einen Familienvater die Treppe hinuntergeschubst, der seither querschnittsgelähmt ist.
Auf dem Bio-Hof Gorgona hat Manuel Bosco einen anderen Gefangenen verprügelt, nur weil er mitbekommen hatte, wie der ein Ferkel schlachtete. Er hat mir alles über Kirschtomaten und das Zurückschneiden von Weinstöcken beigebracht. Abends las ich ihm Palahniuk, Ellroy und Bunker vor, manchmal auch Martin Cruz Smith oder Dennis Lehane.
Er will wissen, wie es mir ergangen ist, seit ich draußen bin, erzählt, dass er nun endlich im offenen Vollzug sei und hier noch zwei andere Jungs aus seinem Block herumliefen. Wenn ich Lust hätte, könnte ich bei denen nachher noch Käse von der Insel probieren, die hätten frischen Caciotta im Angebot.
Manuel Bosco merkt gar nicht, dass ich nicht allein bin. Er stellt sich auch nicht die Frage, ob er
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