Vater, Mutter, Tod (German Edition)
nicht, was mit Lukas passiert ist.«
Um René zu besänftigen, berührte der Krankenpfleger sachte dessen Oberarm.
René schüttelte ihn unwirsch ab.
»Möchten Sie eine Beruhigungsspritze, Herr Adam?«
»Ich glaube, das wird nicht nötig sein, nicht wahr?«, wandte sich nun Manthey an René.
René murmelte etwas Unverständliches, das Manthey als Zustimmung auslegte.
»Wenn wir weiter in sie dringen, wäre das kontraproduktiv«, mischte sich die Ärztin ein. »Mit etwas Abstand und in einer erholsamen Umgebung kommen Sie eher zum Ziel. Wir bringen Frau Ökmen erst mal ins Krankenhaus.«
Renés innerer Kampf spiegelte sich auf seinem Gesicht wider.
»Also gut«, gab er sich schließlich geschlagen.
»Vielleicht setzen wir uns hier an den Esstisch?«, fragte Manthey.
Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt er hinüber und sah René auffordernd an.
Nach kurzem Zögern folgte dieser.
Manthey und Schultheiss nahmen Platz, René setzte sich gegenüber.
Manthey zog einen kleinen Block und einen Kugelschreiber aus seiner Jackentasche.
»Sie leben hier also mit Ihrer Frau und Ihrem Sohn.«
»Ja.«
»Ihr Sohn ist wie alt?«
»Sieben.«
»Wohnt sonst noch jemand hier?«
»Nein.«
»Frau Ökmen?«
»Sie besucht uns beinahe täglich. Sie hilft uns im Haushalt und kümmert sich auch darum, dass Lukas zur Schule und zurück kommt.«
»Was sind Sie von Beruf?«
»Ich bin Anwalt.«
»Ihre Frau?«
»Architektin.«
Manthey notierte und Schultheiss folgte dem Beispiel seines Kollegen.
»Erzählen Sie mir bitte, wie Sie Frau Ökmen vorgefunden haben.«
»Ich bin von der Arbeit gekommen. Ich war sehr darüber verwundert, dass die Haustür einen Spaltbreit offen stand. Ich drückte sie auf.«
René schluckte einen imaginären Kloß hinunter.
»Ich dachte schon, Ayse wäre tot. Alles voller Blut. Dann habe ich gesehen, dass sich ihr Brustkorb bewegte. Ich rief nach Lukas. Da vermutete ich noch, Ayse wäre gestürzt. Man liest ja so viel von Unfällen, die in den eigenen vier Wänden passieren. Ich wählte die 112 und meldete die Verletzung. Lukas war immer noch nicht aufgetaucht. Deswegen habe ich noch einmal seinen Namen gerufen. Aber er kam nicht.«
René stand die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben.
»Ayses Atem ging regelmäßig. Ich ließ sie liegen und bin ins Haus. Hinauf ins Kinderzimmer, ins Bad, auf die Toilette, in unser Schlafzimmer. Dann wieder hinunter, in den Wintergarten, in den Garten, nichts. Keine Spur von Lukas.«
»Ist Ihnen dabei etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«
»Nein.«
René überlegte.
Währenddessen hievten die Ärztin und der Krankenpfleger Ayse in den mitgebrachten Rollstuhl.
»Die Terrassentür. Sie stand offen«, fiel ihm ein.
»Vielleicht hat Frau Ökmen sie aufgemacht.«
»Nicht, wenn sie in einem anderen Zimmer arbeitete. Hier in der Siedlung gab es einige Einbrüche in den letzten Wochen.«
»Ja, ich weiß.«
»Was haben Sie danach gemacht?«
»Meine Frau angerufen. Aber ihr Handy war ausgeschaltet.«
»Haben Sie sie inzwischen erreicht?«
»Nein.«
»Sie weiß also noch nichts?«
»Ich möchte gar nicht daran denken, wie sie es aufnehmen wird.«
»Herr Schultheiss«, sagte Manthey. »Könnten Sie Herrn Adam ein Glas Wasser besorgen?«
Schultheiss nickte, stand auf und ging hinüber zur Küchenzeile.
»Dann habe ich erneut die 112 angerufen und erzählt, dass ich meinen Sohn vermisse.«
»Also, ich versuche zusammenzufassen: Der Entführer klingelt an der Wohnungstür. Frau Ökmen öffnet und wird von ihm überwältigt. Danach holt er sich den Jungen und verschwindet mit ihm durch den Garten.«
Manthey sah sich um: »Keine Kampfspuren.«
»Was meinen Sie?«, fragte René.
»Ein Siebenjähriger hat kaum eine Chance gegen einen Erwachsenen. Doch wenn er sich wehrt, so könnte das Auswirkungen haben. Ein umgefallener Stuhl beispielsweise, an den er sich festgeklammert hat. Oder etwas, das ihm oder dem Entführer während des Handgemenges aus der Tasche gerutscht ist, oder ein Dekorationsgegenstand, der zu Boden fiel.«
»Der Junge könnte betäubt worden sein«, rief Schultheiss, während er ein Trinkglas unter den Wasserhahn hielt.
»Oder er kannte den Entführer«, schloss Manthey.
»Entführerin«, war Ayses Stimme zu vernehmen.
Manthey drehte ihr überrascht den Kopf zu.
Der Krankenpfleger legte gerade die Sicherungsgurte um Ayses Körper.
»Was meinen Sie?«, fragte Manthey.
»Ich glaube, es war eine Frau. Ja, ich bin mir jetzt ziemlich
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