Vater, Mutter, Tod (German Edition)
Benjamini wuchs.
Dann konzentrierte sie sich wieder auf den Garten. Sie fixierte die leicht hin und her wackelnde Kinderschaukel, gerade so, als könne sie die fremde Frau wieder herbeizaubern, wenn sie nur lange genug dorthin starrte.
Doch der Garten und der dahinter entlanglaufende Trampelpfad blieben leer.
Als sie sich ein wenig besser fühlte, stand sie auf und ging hinauf zu Lukas.
Er spielte am Boden mit Baufahrzeugen aus Holz. Überrascht, seine Mutter zu sehen, lächelte er sie an. Er schien erleichtert.
Jacqueline kniete sich zu ihm nieder und drückte ihn.
»Erinnerst du dich an deine Oma?«, fragte sie ihn.
»Klar. Sie wohnt in der Stadt mit den vielen Schiffen.«
»Nein, die andere Oma.«
»Ach so. Die im Himmel lebt? Bei den Engeln?«
»Wer hat dir denn das erzählt?«
»Der Papa! Warum?«
»Bitte erzähl dem Papa nicht, dass ich nach der Oma gefragt habe, ja?«
»Guck mal. Ich habe einen neuen Bagger. Hat Papa mir heute mitgebracht.«
4. Kapitel
Sechs Tage vor der Katharsis
E ine Gottesanbeterin häutet sich in ihrem Leben viele Male.
Während sie sich nach den Seiten abstützt, verwendet sie ihre ganze neu gewonnene Kraft, um aus ihrer alten Hülle zu schlüpfen.
Genauso fühlte sich Martin Manthey, als er sich aus dem Beifahrersitz des Kleinwagens stemmte.
»Tut mir leid, der Passat ist noch in der Werkstatt«, hörte Manthey die Stimme seines Kollegen.
Manthey erreichte ächzend festen Boden unter den Füßen.
»Ja, das sagten Sie bereits.«
Manthey schlug die Autotür zu und klopfte dann aufs Dach.
»Erinnert mich an früher.«
»Trabbi?«
»Wartburg.«
Mantheys Kollege nickte.
»Aber es gibt auch heute nur wenige Autos, in denen ich mich nicht wie eine Sardine in der Büchse fühle«, sagte Manthey.
Vor ihrem Dienstwagen stand ein Krankenwagen des Roten Kreuzes, davor parkte ein dunkelgrüner Fiat Punto am Straßenrand.
Der Straßenzug war, wie so viele andere, nach der Wende im sogenannten Speckgürtel der Hauptstadt entstanden. Achtundzwanzig Jahre innerdeutsche Grenzbefestigung hatten verhindert, dass Berlin – anders als beispielsweise München oder Frankfurt – über seine eigenen Ortsgrenzen hinauswachsen konnte.
In den neunziger Jahren war die Stadt nach ihrer jahrzehntelangen Stasis rapide über ihre Ränder gewuchert. Später – der prognostizierte Wirtschaftsboom war ausgeblieben – hatte sich die Ausbreitung ein wenig verlangsamt.
Kleinmachnow glich kaum noch dem Ort, den Manthey aus der Zeit vor 1989 gekannt hatte.
Er galt heute als ›verlängertes Zehlendorf‹. Und Zehlendorf stand für Villen und Reichtum.
Doch während man vom Berliner Bezirk Zehlendorf gemeinhin als einer Heimat von vielen wohlbetuchten Witwen sprach, zogen ins brandenburgische Kleinmachnow eher die Neureichen. Und die jungen Familien. Bei der Anfahrt waren sie an mehreren Kindergärten und Spielplätzen vorbeigekommen.
Auf einem Nachbargrundstück sah Manthey zwei Mädchen Federball spielen.
Das Einfamilienhaus, vor dem die drei Autos standen, schätzte Manthey auf maximal ein bis zwei Jahre.
Zudem konnte er sich gut daran erinnern, dass hier an dieser Stelle noch vor nicht allzu langer Zeit Mais geerntet wurde.
In dem Carport neben dem Haus, für zwei Autos ausgelegt, stand lediglich ein Wagen: ein silberfarbener Mercedes. Das Kennzeichen begann mit › PM ‹: Landkreis Potsdam-Mittelmark.
Die beiden Beamten schritten zur Haustür.
›Familie Adam‹ verkündete eine selbstgefertigte, handtellergroße Plakette aus Ton.
Anstatt zu klingeln, klopfte Manthey.
Bereits nach kurzer Zeit wurde ihm und seinem Kollegen geöffnet.
Ein Mann, Ende dreißig, stand im Türrahmen; Anzugträger, leichter Bauchansatz, dunkelbraunes, kurzgeschnittenes Haar, Geheimratsecken im Anfangsstadium. Der Mann wirkte nervös und besorgt. Trotz seiner ein Meter achtzig musste er zu dem Besucher aufsehen. Manthey bemerkte, dass sein Gegenüber seinen breiten Brustkorb musterte.
»Herr Adam?«, fragte er.
Der Mann im Türrahmen nickte.
Manthey streckte ihm seine Hand entgegen, die der andere reflexartig ergriff.
»Mein Name ist Manthey, ich bin Kriminalhauptkommissar des LKA Brandenburg.«
Dann deutete er auf seinen Begleiter.
»Und das ist Herr Schultheiss, mein Kollege.«
Nun schüttelte auch dieser dem Hausherrn die Hand.
»Achim Schultheiss«, stellte er sich vor, »wie das Bier.«
»René Adam.« Die Stimme zitterte. »Kommen Sie bitte herein.«
Bereits nach dem Schritt
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