Vater, Mutter, Tod (German Edition)
Gefahr, doch sie blieb mit aufrechtem Rücken stehen, die Augen auf etwas vor ihr am Boden gerichtet. Ihre Hände sanken langsam nach unten.
Schließlich sicherte sie ihre Waffe, steckte sie ins Holster und machte ihren Kollegen Platz.
Manthey folgte ihr ins Zimmer, und noch während er den länglichen Gegenstand am Boden als zusammengerollten Teppich identifizierte, klickte bereits Prengels Fotoapparat. Gleichzeitig tauchte Blitzlicht den Raum in unnatürliche Helligkeit.
Der Küchentisch stand schräg an der Wand, als hätte man ihn zur Seite getragen, um den Teppich freizulegen. Auf dem Fenstersims standen vier leere Bierflaschen. Vermutlich rasch vom Tisch genommen, damit sie nicht umfielen, sobald man ihn anhob.
Die auf dem Tisch liegenden Schnapsfläschchen passten für Manthey nicht zu dem geöffneten Tetrapak Milch, der danebenstand.
Auf dem Boden entdeckte er blauweiße Scherben.
Hastig verlassen, dachte der Kommissar, während Prengel bereits weitere Bilder schoss.
»Sollen wir ihn ausrollen?«, fragte der Uniformierte und streckte sein Kinn in Richtung des beigefarbenen Teppichs. Genau wie seine Kollegin, hatte er sich bereits Plastikhandschuhe übergestreift.
Manthey sah fragend zu Prengel. Prengel nickte dem Polizisten zu und richtete sein Objektiv auf die beiden Uniformierten.
Für einen Erwachsenen war die Ausbuchtung viel zu klein; Manthey hatte eine Befürchtung, was die Beamten finden würden.
Vorsichtig zogen diese am losen Ende des Teppichs. Ganz langsam entrollten sie ihn. Nach etwa einem Meter verfärbte die Unterseite des Teppichs ein Fleck, der seinen Ursprung auf der Oberseite haben musste.
Prengel fotografierte den Fleck, anschließend setzten die beiden Polizisten ihre Arbeit fort.
Bereits nach kurzer Zeit war der Arm eines Kindes zu erkennen. Prengels Klickgeräusche erklangen in immer kürzeren Abständen. Das Blitzlichtgewitter erinnerte Manthey an die Effekte eines Stroboskops: Es tauchte die Situation in eine unwirklich anmutende Atmosphäre.
Schließlich befreiten die Beamten die Leiche eines Jungen aus ihrer Umwicklung.
Manthey schätzte ihn auf etwa sieben Jahre.
Die Augen des Kindes starrten geradewegs zur Zimmerdecke. Breitbeinig stellte sich Prengel über den Körper des Jungen und blitzte ihm geradewegs ins Gesicht. Teilnahmslos, ohne mit der Wimper zu zucken, gerade so, als fotografiere er während eines Wanderausflugs einen Schmetterling.
Ganz anders Schultheiss. Manthey hörte, wie sein Assistent schluckte. Als er ihn ansah, wirkte Schultheiss beinahe so bleich wie die Leiche.
»Der Hals«, kommentierte Prengel.
Manthey trat neben ihn und erkannte sofort, was sein Kollege von der Spurensicherung damit sagen wollte.
Eine Schnittverletzung verlief über mehrere Zentimeter den Hals entlang. Das Blut ringsherum war längst trocken und dunkel geworden.
Prengels Objektiv glitt nach unten.
»Da«, meinte Prengel, und Manthey folgte der Aufnahmerichtung der Kamera.
Die Tatwaffe.
Sie war gemeinsam mit dem Opfer in den Teppich eingerollt worden und lag nun direkt neben dem rechten Unterarm des Jungen.
Ein Brotmesser. Unschwer zu erkennen.
»Herr Manthey. Sehen Sie!«, rief eine weibliche Stimme.
Manthey sah zu der Polizistin und sein Blick folgte dann ihrem ausgestreckten Zeigefinger.
Sie deutete auf die Arbeitsfläche neben der Spüle.
Ein dünnes, großformatiges Buch lag dort.
Manthey war zu weit entfernt, um den Titel zu lesen.
Zielstrebig ging er hinüber.
Es handelte sich um ein Kinderbuch.
Manthey las den Titel.
»Familie Bär geht auf den Rummel.«
7. Kapitel
Jacquelines Berichterstattung
D ie schwarzen Großbuchstaben waren in eine silberfarbene, metallene Grundfläche eingraviert: › COLLIN ‹.
Das Klingelschild gesellte sich zu den zwei Dutzend anderen im Hauseingang des Altbaus. Die eine Hälfte davon trug die Namen der Mieter des Vorderhauses, die andere gehörte zu den Bewohnern des Seitenflügels.
Jacqueline kannte das Namensschild seit ihren Kindertagen. Als kleines Mädchen hatte sie sich auf ihre Zehenspitzen stellen müssen, um den dazugehörigen Klingelknopf zu erreichen.
Für eine erwachsene Frau war es viel leichter: Sie presste einfach ihren Daumen darauf.
Dann drehte sie sich kurz um und streifte mit ihren Blicken den auf der anderen Straßenseite liegenden Viktoriapark. Ihre ganzen Kinderjahre hindurch hatte sie diesen Blick gehabt, wenn sie aus ihrem Zimmer hinausgesehen hatte, aus ihrem Zimmer im zweiten Stock des
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