Vater, Mutter, Tod (German Edition)
Aufzug.«
»Ach ja. Der Aufzug.«
»Sie sind nur bis in den siebten Stock gefahren.«
Die Frau nickte.
»Warum?«
»Kann ich bitte noch eine von den Schmerztabletten bekommen?«
»Nein.«
Rakowski reagierte dieses Mal anders als erwartet.
»Bitte. Nur noch eine.«
»Beantworten Sie mir bitte meine Frage. Weshalb sind Sie lediglich bis in den siebten Stock gefahren?«
Warum nur war Rakowski auf einmal so penetrant?
Sie empfand ihn nun gar nicht mehr engelhaft.
»Ich weiß es nicht.«
»Ist irgendetwas in der achten Etage, vor dem Sie Angst haben?«
Die Frau wollte ihrem Peiniger nicht mehr in die Augen sehen, sie blickte an ihm vorbei, zum Fenster hinaus.
»Ich habe einfach die ›7‹ gedrückt. Ich habe nicht darüber nachgedacht.«
»Schließen Sie die Augen. Begeben Sie sich in Gedanken noch einmal in den Aufzug, fahren Sie in die achte Etage.«
Sie ließ die Augen offen, stierte weiter nach draußen in die Helligkeit.
Ihr Herz fühlte sich an, als stäche jemand mit dünnen Nadeln hinein.
Ihre Nase füllte sich, sie musste sich schneuzen.
»Sie haben Angst!«, schloss Rakowski.
Ja, bestätigte jemand in ihr.
Doch sie sprach die Antwort nicht aus.
Sie wollte, dass Rakowski endlich aufhörte.
Sie wollte, dass dies alles endlich aufhörte, dieser elende Alptraum.
Doch der Engel blieb ohne Gnade, er bohrte weiter.
Am liebsten hätte sie sich auf ihn gestürzt und ihm den Mund zugehalten, doch die vielen Medikamente hatten sie müde und träge werden lassen.
»Es ist nur zu Ihrem Besten«, sagte Rakowski. Die Frau hasste ihn für diese Worte.
»Sie müssen sich der Situation stellen!«
Nein, schrie es in ihr, nein, aufhören, Ende, Exit.
»Stellen Sie sich. Erzählen Sie mir von Paula. Und von Ihrem Sohn.«
Der Engel stürzte sie hinab von seiner Wolke, genau in die dunkelrote Glut tief unter ihr.
9. Kapitel
Jacquelines Berichterstattung
A ls Jacqueline die Hotellobby betrat, herrschte bereits eine rege Betriebsamkeit. Der Eingangsbereich war jedoch groß und hoch genug, um keine hektische Atmosphäre entstehen zu lassen. Auch die zahlreichen Pflanzen sorgten dafür, dass sich die vielen Menschen im Raum verloren und ihre Geräusche gedämpft wurden.
Es war Jacquelines erster Besuch im ›Grand Hotel Großer Wannsee‹.
Sie sah sich kurz um und versuchte, sich zu orientieren.
War das dort hinten in dem lachsfarbenen Ledersessel nicht Beat Lindinger?
Der erfolgreiche Architekt aus Basel?
Jacqueline hatte sich ausführlich mit seinen Entwürfen für die Allianz-Arena in München beschäftigt.
Mit ihm würde sie sehr gerne diskutieren. Sie hoffte sehr, dass sich im Laufe des Wochenendes eine Möglichkeit dafür ergab.
In einem Grüppchen zu ihrer Linken, leicht verdeckt durch drei mannsgroße Yucca-Palmen, glaubte sie, Carla Martinez zu erkennen. Sie war der spanischstämmigen Kollegin einmal während des Studiums begegnet. Im Moment kursierte das Gerücht, Carla Martinez hätte beim Hamburger Senat einen beeindruckenden Entwurf für eine neue Brücke über die Süderelbe abgeliefert. Jacqueline brannte darauf, aus erster Hand Näheres über das Projekt zu erfahren.
Zwei Bedienstete standen auf der anderen Seite des Empfangs.
Eine Frau in dunkelblauer Hoteluniform kümmerte sich gerade um einen älteren Herrn, während ihr männlicher Kollege Jacqueline bereits entdeckt hatte und ihr freundlich entgegensah.
Jacqueline schritt auf ihn zu.
Der Portier hieß sie herzlich willkommen und Jacqueline dankte ihm.
Sie nannte ihren Namen.
Der Portier tippte die Buchstaben in die Tastatur seines Apple-Computers.
Danach bemühte er seine Maus und füllte erneut Felder aus, die Jacqueline nicht einsehen konnte.
Ein fragender Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, dann wiederholte er Jacquelines Namen.
»Ja.« Jacqueline nickte.
Der Portier erfasste den Namen erneut und drückte die Eingabe-Taste.
»Tut mir leid«, sagte er. »Ich finde keinen Eintrag unter Ihrem Namen.«
Jacqueline spürte, wie sich auf ihren Armen eine leichte Gänsehaut bildete. Sie glaubte, ein Déjà-vu zu erleben: die Zahnarztpraxis. In der Friedrichstraße. Unterhalb des Architekturbüros.
Regungslos stand sie da, gab dem Portier keine Antwort.
»Vielleicht haben Sie sich im Datum geirrt? Sie wissen, dass dieses Wochenende das alljährliche Stadtentwicklungs-Symposium stattfindet?«
»Genau dahin möchte ich.«
»Ich finde Sie nicht in der Reservierungsliste.«
»Das kann nicht sein. Sehen Sie noch
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