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Vater, Mutter, Tod (German Edition)

Vater, Mutter, Tod (German Edition)

Titel: Vater, Mutter, Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Langer
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die Heftseite legte sie neben die Teekanne aufs Tablett. Sie duschte und zog sich frische Kleider an.
    Erneut versuchte sie, es sich in ihrem Schaukelstuhl bequem zu machen, doch ihre Kopfschmerzen und ihre innere Unruhe verhinderten diesen Plan.
    Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu den Erlebnissen der letzten Stunden zurück.
    Die Asiatin in der elterlichen Wohnung.
    Die Beerdigung. Der Grabstein.
    Das glotzende Gesicht an der Terrassentür.
    Lukas.
    Paula.
    Nachdem sie zwei Schlucke kalten Tee getrunken hatte, fiel sie in einen traumlosen Schlaf, den Zettel mit den beiden Namen in der geballten Hand.
    Als sie wieder erwachte, waren ihre Beine in eine Wolldecke gehüllt.
    Neben ihr saß René, seine Augen betrachteten sie liebevoll-besorgt.
    »Alles klar?«, fragte er leise.
    Sie nickte.
    »Wie geht es dir?«
    Als sie die Antwort schuldig blieb, fragte er: »Wieder Kopfschmerzen?«
    »Auch«, antwortete Jacqueline.
    René reichte ihr eine Tasse, aus der es dampfte und nach Rooibos roch. Die zusammengeknüllte Heftseite immer noch in der Hand haltend, nahm Jacqueline den Tee dankbar an und nippte vorsichtig daran.
    »Ich habe dein kaputtes Kostüm im Bad liegen sehen. Was ist denn passiert?«
    Jacqueline schluckte.
    »Ich bin gestolpert«, antwortete sie.
    »Und deine Schuhe. Als hättest du Fußball gespielt.«
    Er respektierte ihr Schweigen.
    Sich die Tasse unter die Nase haltend, atmete Jacqueline die Rooibos-Dämpfe ein. Der Duft beruhigte sie und tat ihr gut.
    »Was hältst du da eigentlich in der Hand?«
    »Ach, nichts«, erwiderte Jacqueline und suchte fieberhaft nach einer Notlüge.
    »Einen Einkaufszettel«, sagte sie schließlich. »Ich habe vorhin notiert, welche Lebensmittel uns ausgegangen sind.«
    »Darum brauchst du dich doch nicht zu kümmern. Das kann ich erledigen. Oder Ayse. Du warst auch nicht im Büro, oder? Ich habe nachmittags dort angerufen.«
    Nachmittags? Jacqueline erschrak.
    Sie sah auf ihre Armbanduhr: kurz vor sechs.
    Hatte sie so lange vor sich hin gedöst?
    »Wo ist Lukas?«
    »Ich habe ihn nach oben geschickt.«
    »Und Ayse?«
    »Sie hat doch heute frei.«
    »Ach ja. Ich muss mich ums Abendessen kümmern.«
    Jacqueline stellte die Tasse ab und versuchte aufzustehen, doch René drückte sie sanft in den Schaukelstuhl zurück. Der Stuhl wippte sachte.
    »Du wirst hier liegen bleiben und dich weiter ausruhen«, bestimmte René. »Ich bringe dir etwas zu essen. Mach dir um Lukas und mich keine Sorgen.«
    Erneut spürte sie das Papier in ihrer Faust.
    »Wir müssen miteinander reden, René.«
    René nahm ihre andere Hand zwischen die seinen.
    »Ja, das müssen wir. Nach dem Essen.«
    Plötzlich schmeckte Jacqueline etwas Bitteres.
    Ein Nachgeschmack?
    Vom Rooibos-Tee?
    Ihr Blick fiel auf den Ficus Benjamini, in dessen Erde sie gestern das Wasser mit der aufgelösten Aspirin-Tablette gekippt hatte.
    »Ich habe keinen Hunger«, sagte sie schnell und sah zu dem dampfenden Tee.
    »Ist was damit?«, fragte René.
    »Nein, alles in Ordnung«, wiegelte Jacqueline ab.
    Die Schulheftseite. Die krakeligen Buchstaben. Lukas. Paula.
    Jacqueline wollte ihrem Mann davon erzählen, ihm Fragen stellen. Inzwischen hatte sie einen Verdacht, doch ehe sie das Thema anschneiden konnte, begann René zu sprechen.
    »Wegen gestern …«
    Jacqueline gelang es nicht, ihrem Mann in die Augen zu sehen. Sie senkte den Blick.
    »Ich war im Unrecht, René. Ich war heute auf dem Friedhof, bei meiner Mutter.«
    »Es geht nicht um Recht oder Unrecht, Jacqueline.«
    »Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich habe mir nur eingebildet, mit meiner Mutter im Lafayette gewesen zu sein.«
    René streichelte ihre Hand, enthielt sich aber eines Kommentars.
    »Sie stand vor mir. Ich habe mit ihr geredet.«
    Sie dachte an die Parfümverkäuferin und daran, wie stolz sie ihrer Mutter vom ›Le Mirage‹ erzählt hatte.
    Ohne dass sie es verhindern konnte, kehrte auch die Unbekannte in ihre Gedanken zurück: Sie verschwand im U-Bahnhof Stadtmitte, in der Menschenmenge am Gendarmenmarkt, zwischen den Bäumen hinter dem Haus.
    »Bitte entschuldige, wie ich mich gestern aufgeführt habe.«
    Jacqueline sah nach draußen zur Kinderschaukel.
    »Ist da jemand?«, fragte René.
    Jacqueline schüttelte vehement den Kopf.
    Paula, dachte sie, ist das der Name der Fremden?
    »Wir müssen dem nachgehen.«
    Sie hörte die Stimme ihres Mannes, doch ihre Gedanken durchliefen gerade den Schleudergang.
    »Irgendetwas stimmt mit dir nicht,

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