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Vater, Mutter, Tod (German Edition)

Vater, Mutter, Tod (German Edition)

Titel: Vater, Mutter, Tod (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Siegfried Langer
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und leitete anschließend über zu vergangenen und künftigen Großprojekten in Deutschland. Auch der Flughafenneubau in Schönefeld wurde am Rande erwähnt und Jacqueline war stolz, daran beteiligt zu sein.
    Bis zur Pause am späten Nachmittag entwickelte sich das Symposium sehr zu Jacquelines Zufriedenheit. Es gelang ihr, die Irritationen und Anspannungen der letzten Tage zu verdrängen, da sie sich wohl fühlte unter der Crème de la Crème der Architekten.
    Jacqueline verließ den Saal, um wie die meisten anderen Teilnehmer eine Tasse Kaffee zu trinken. Eine emsige, weiß gekleidete Hotelangestellte füllte gerade die Schale mit den englischen Keksen wieder auf. Als sie zur Seite trat, fiel Jacquelines Blick genau auf eine Frau, der sie lieber nicht begegnet wäre; zu viele unschöne Erinnerungen waren mit ihr verknüpft.
    Jacqueline wollte zur Seite sehen, doch es war bereits zu spät.
    Die Frau hatte sie entdeckt; in ihren Augen blitzte sofort ein Wiedererkennen auf und ihr Lächeln wurde breit und fröhlich.
    Sie stellte die Kaffeetasse ab, aus der sie gerade einen Schluck genommen hatte, und eilte zielstrebig auf Jacqueline zu.
    »Jacqueline, wie schön, dich zu sehen!« Ehe sie sich’s versah, wurde sie bereits herzlich von der Frau an sich gedrückt.
    Jacqueline ließ es stocksteif über sich ergehen.
    »Susanne«, sagte sie kühl.
    »Ich bin so froh, dich wiederzusehen«, fuhr Susanne beherzt fort. Jacqueline antwortete nicht.
    »Weißt du, wie oft ich den Telefonhörer in der Hand hielt, um dich anzurufen?«, fragte Susanne.
    Dann erst bemerkte sie Jacquelines Distanziertheit.
    »Ich kann ja verstehen, dass du etwas, hm, reserviert bist. Das ist der Grund, warum ich dich längst anrufen wollte. Es ist alles in Ordnung mit mir.«
    Susanne sah sich um.
    »Und wie du siehst, habe ich sogar noch mein Architekturstudium zu Ende gebracht.«
    Anscheinend mit großem Erfolg, dachte Jacqueline, wenn du hierher eingeladen wurdest.
    »Trotz meiner, hm, damaligen Stimmungsschwankungen.«
    Immer wieder suchte Susanne nach Körperkontakt, fasste Jacqueline am Oberarm an, versuchte, ihre Hand zu halten. Jacqueline war die Situation unangenehm. Da sich hinter ihr eine Wand befand, konnte sie keinen Zentimeter weiter zurückweichen.
    »Stimmungsschwankungen«, wiederholte Jacqueline.
    Susanne senkte kurz den Blick.
    »Tut mir heute noch leid wegen deiner Diplomarbeit.«
    »Ich musste sie fast komplett neu schreiben.«
    »Ja, ich weiß. Aber nachdem ich durch den ganzen Flur im Studentenwohnheim getobt war und fünf Zimmereinrichtungen und die gemeinsame Küche zu Klump geschlagen hatte, bin ich ja auch in Behandlung gegangen.«
    Jacqueline erinnerte sich an die vier muskulösen Männer, die damals notwendig gewesen waren, um Susanne in eine Zwangsjacke zu stecken.
    ›In Behandlung gegangen‹ nannte Susanne das also heute.
    »Zwei Jahre hatte ich gebraucht, um wieder ein normales Leben führen zu können. ›Frau Cantor‹, hat Dr. Rakowski immer gesagt, ›glauben Sie mir, Sie werden eines Tages sogar Ihr Architekturstudium zu Ende bringen können.‹ Und: Er hat recht behalten. Falls du jemals einen Psychologen benötigst …«
    Sie konnte den Satz nicht vollenden, ihre Aufmerksamkeit wurde zu Jacquelines Glück von etwas anderem abgelenkt.
    »Oh, da drüben kommt Louis, mein Kollege. Ich muss euch unbedingt miteinander bekannt machen.«
    Sie ließ ihr Opfer los und entfernte sich, um ihren Kollegen heranzuholen. Jacqueline nutzte die Gelegenheit und verschwand rasch wieder im Konferenzsaal.
    Nach dieser Begegnung fiel es Jacqueline äußerst schwer, sich auf die zweite Hälfte von ›Vision versus Budget‹ zu konzentrieren. Obwohl es ihr gelungen war, Susanne zu entwischen, kehrten ihre Gedanken zu ihr zurück.
    Ihr Verhalten damals war sehr ungewöhnlich gewesen. Sie hatte ständig fremde Menschen um sich herum gesehen, die sie entführen wollten. Jacqueline und ihre Kommilitonen hatten es zunächst für einen Spleen gehalten, für eine exzentrische Verhaltensweise, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Erst an besagtem Tag, als Susanne die komplette Etage des Studentenwohnheims verwüstet hatte, weil sie gegen ihre imaginären Entführer gekämpft hatte, war allen die Größenordnung des Problems bewusst geworden. Doch da war es bereits zu spät gewesen.
    Vorne am Mikrofon erzählte der Vortragende etwas von Startbahnen. Der Sinn der Rede erschloss sich Jacqueline schon lange nicht mehr.
    Rakowski.
    Warum dachte

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