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Vater sein dagegen sehr

Vater sein dagegen sehr

Titel: Vater sein dagegen sehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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klüger war als er selber, selbst wenn es auch ihr so gehen sollte, daß sie zuweilen eine kleine Sehnsucht nach dem Turm verspürte — denn schließlich ließen sich die Blätter der vergangenen drei Jahre ja nicht genauso leicht aus dem Leben zupfen wie vom Kalender. Zum mindesten war sie lebensklüger. Aber dafür war sie ja schließlich auch eine Frau. Und es überraschte ihn nicht und schmerzte ihn nicht, als er erfuhr, daß sie sich im Rheinland mit einem Textilfabrikanten verlobt habe.
    Inzwischen aber war im Maintal der Hochsommer eingezogen.
    Es waren die Würzburger Sommer, die die Reben im bläulich schimmernden Laub kochten und ihren Saft verzuckerten. Für Lutz waren sie eine Qual, an die er sich nie gewöhnen würde, und ein Anlaß, um immer sehnsüchtiger von einer Landschaft mit näherem Himmel und kühleren Winden zu träumen. Der Main, durch zahlreiche Stufen aufgestaut, war träg und dick wie der Saft der Trauben an seinen verbrannten Hängen. Das Gras der Uferwiesen wurde hart wie Schilf. Die Luft, im Frühling blankgewaschen und im Herbst golden getönt oder im Mittagslicht silbern über der Landschaft zitternd wie auf den Bildern französischer Impressionisten, kochte im Juli zwischen den Hügeln stumpf und grau wie Blei.
    Es war an einem der letzten Tage vor den Sommerferien. Lutz saß, bis auf die Shorts nackt, am Schreibtisch. Die Hände klebten und schoben das Konzeptpapier beim Schreiben mit über die Tischplatte. Die Traudl lag im Badeanzug jappend auf dem Fleckerlteppich und blätterte in Stevensons Schatzinsel. Der Bub mußte für sein Fräulein mit Buntstiften eine Illustration zu dem Gedicht »Ein Männlein steht im Walde« anfertigen. Er tat es mit Hingabe und intensiver Mitarbeit der Zunge, die bei jedem Strich dem Buntstift zwischen den Mundwinkeln nachfuhr. Ab und zu fiel ein Schweißtropfen von seiner Stirn auf den Karton und verursachte dort kleine Katastrophen. Der Spitz lag draußen auf der Treppe, aber sein Hecheln war bis ins Zimmer zu hören. Er litt unter seinem dichten Pelz, und Lutz nahm sich täglich vor, ihn scheren zu lassen.
    »Nein, Kinder«, sagte Lutz plötzlich und ballte das halbbeschriebene Blatt zu einer Papierkugel zusammen und feuerte es durchs Fenster, »diese Sauhitze mach' ich nicht länger mit! Wir hauen ab! Wir gehen irgendwohin, wo es mal regnet und wo es mal ein Gewitter gibt und wo das Thermometer nicht schon morgens auf dreißig steht und völlig irrsinnig wird! Was sagt ihr dazu, he?«
    »Mei', das wär was!« schrien die Kinder. »An den Chiemsee, wenn wir gingen! Oder auf die Winkelmoosalm. Oder an den Hintersee bei den Mühlsturzhörnern! Da ist es fei pfundig! Da waren wir mal aufm Schulausflug.«
    »Wir müssen es uns einmal überlegen«, sagte Lutz dem vor seiner eigenen Kühnheit bange wurde, »das kostet natürlich eine Stange Geld.«
    »Es ist halt ein rechtes Kreuz mit dem ewigen Diridari!« seufzte der Rudi weise und in säuberlichem Hochdeutsch. Er ließ manchmal solche Sprüche los, die Lutz den Magen umdrehten.
    »Und wenn wir nur igendwo auf eine Alm gehen täten?« meinte Traudl. »Und wenn wir uns Hartwurscht und Geräuchertes und Eier und Mehl mitnähmen täten, ha? Milch und Brot und Butter kriegten wir vom Senn gerade genug! Was meinst du, Onkel Lutz? Da war' es doch nicht so teuer.«
    »Und wenn wir wieder mit 'nem Laster per Anhalter 'runterfahren täten?« schlug Rudi unternehmungslustig vor. Die Erinnerung an die Fahrt von einst rumorte immer noch in seinem kleinen Schädel herum.
    »Wir haben noch Zeit genug, uns die Geschichte zu überlegen«, sagte Lutz feige.
    »Haha, ich seh dir schon am Nasenspitzel an, daß doch nix draus wird«, sagte die Traudl enttäuscht.
    Was mußte er auch den Kindern den Mund wäßrig machen! Jetzt gab es eigentlich kein Zurück mehr.
    »Was gibt es heut abend zu essen?« fragte er ablenkend.
    »Harte Eier, Tomatensalat, Gurkensalat, Kopfsalat, Rettich und ein Butterbrot.« Und fast im gleichen Atemzug fügte die junge Hausfrau vorwurfsvoll hinzu: »Das kostet alles zusammen fast drei Mark! Wärt ihr Mannsbilder nicht so gschleckig und tätet mehr Röstkartoffeln essen und weißen Preßsack wie früher, wo wir noch gespart haben, nachha hätten wir Geld und könnten in die Berg fahren. Aber natürlich so...!«

    Drei Tage später standen sie, Lutz, Traudl, Rudi und der geschorene Spitz Bello, eine dürre Jammergestalt, in der Nürnberger Straße in der Nähe des Autohofs und warteten auf den

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